Shantel über Griechenland : Die junge Generation bleibt auf der Strecke
- -Aktualisiert am
Bild: guilty76
„Wenn wir Griechenland ausblenden, graben wir unserer Identität das Wasser ab“, sagt der Frankfurter Musiker Shantel. Für sein neues Album, das im Mai erscheinen soll, ist er in die Heimat seines Großvaters gereist. Ein Gespräch.
Wie kamen Sie auf die Idee, ausgerechnet in Griechenland Ihr neues Album aufzunehmen?
Mein Großvater, der Vater meines Vaters, ist Grieche. Das ist ein Grund. Solange ich denken kann, sind wir im Sommer runtergefahren, das ist ein Bestandteil meiner Sozialisation. Lange wusste ich aber nicht, wohin damit. Ich spreche ja kein Griechisch.
Wofür steht für Sie als Musiker Griechenland?
Die griechische Kultur ist ungeheuer komplex, vielschichtig, vielseitig, es ist ein tiefgründiger Kosmos. Vielen fällt dazu leider nur Alexis Sorbas und Sirtaki ein. Griechenland ist aber ein „melting pot“. Die Griechen sind einerseits natürlich europäischer als die Türken, aber sie sind eigentlich auch Levantiner. Das produziert Zerrissenheit, das ist nichts Schlechtes, im Gegenteil, es ist etwas Positives. Mein Großvater war Grieche, meine Großmutter kommt aus der Bukowina, aus Czernowitz. Zerrissenheit ist ein starkes Gefühl, das mir sehr vertraut ist.
Die Single „EastWest – Dysi ki Anatoli“ haben Sie zusammen mit der griechischen Sängerin Areti Ketime aufgenommen. Warum?
Musik ist in Griechenland noch immer eine Männerdomäne. Die Sängerinnen, die sich darin behaupten, sind häufig richtige Dampfhammer, was ich auch toll finde. An Areti Ketime hat mich aber berührt, wie entrückt sie scheint, fast ätherisch, eine ganz subtile Persönlichkeit. Mit Pop hat sie nichts zu tun, sie macht traditionelle Musik. In Griechenland gilt sie als Wunderkind. Mit fünfzehn Jahren trat sie bei den Olympischen Spielen in Athen auf. Das habe ich gesehen und nicht mehr vergessen. Sie kannte meine Musik übrigens auch. Zwei meiner Songs waren in Griechenland in den Top Ten, einige wurden von bekannten Musikern gecovert.
In dem Video zur neuen Single tanzen normale Menschen zur Musik. Ich nehme an, es sind Griechen?
Ja, das war mir wichtig. Es sind Griechen, Individuen, Menschen von großer Würde, kosmopolitische Personen, die haben Style und Ausdruck. Es ist doch so: Im Moment bleibt sehr viel auf der Strecke. Die junge Generation der südeuropäischen Länder wird ausgeblendet, sie hat keine Zukunft. Und sie haben keine Lobby. Es heißt, „Die Griechen machen das“ oder „Die Griechen wollen dies“. In dem Moment aber, in dem man jemanden in die Augen schaut, kann man nicht mehr verallgemeinern. Niemand hat doch vor, alles den Bach runtergehen zu lassen.
Kann Popmusik helfen, die Lage zu verbessern?
Musik kann ein Lebensgefühl definieren. Diese Verbindung von Altem und Neuen, von Tradition und Pop hat sehr viel damit zu tun, wie wir leben. In unseren Ohren klingt griechische Musik erst einmal wie türkische. Aber es sind eigentlich byzantinische Klänge. Wenn wir Griechenland ausblenden, graben wir unserer Identität das Wasser ab.