George Clinton : Wahrheiten aus der Parallelwelt
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Gelernter Friseur: George Clinton Bild: AP
Eine längst überfällige Wiederveröffentlichung: Die ersten acht Alben von George Clintons legendärer Band „Funkadelic“, die den Soundtrack zu einem Kulturkrieg lieferten, werden neu aufgelegt.
Funky! In der Werbesprache der Plattenfirmen symbolisiert das Adjektiv heute nichts anderes als flache Chants, leicht konsumierbare Beats und den generellen Verzicht auf verstörende musikalische Experimente - Tanzmusikverschnitt also.
Nichts könnte weiter entfernt sein von den schrammelnden Lärmwolken, mit denen ein Haufen schwarzer Hippies vor dreieinhalb Jahrzehnten das „Post-Civil-Rights“-Amerika aufgeschreckt hatte. „Funkadelic“ nannten sie sich. Es klang bisweilen, als ob James Brown mit Frank Zappa, dem Sun Ra Arkestra und dem Art Ensemble of Chicago die Bühne teilte, während Jimi Hendrix auf der Gitarre greint und ein drogenbenebelter Sly Stone schmutzige Witze erzählt.
Auch die Bühnengarderobe der „Funkadelic“-Jünger war ein einziger Schrei: Was konnte weiter von einer Motown-Vokal-Combo in ihren feinen Anzügen entfernt sein als schillernde Togas oder Football-Helme mit Fernsehantennen oder ein windelbekleideter Bassist? Die Band setzte sich Anfang der siebziger Jahre zwischen alle Stühle und stellte damit sowohl Soul- als auch Rockfans vor eine schwere Probe. „Für ein weißes Publikum“, sagte Bandleader George Clinton, „waren wir zu schwarz. Und für das schwarze zu weiß.“
Neues Territorium
Dennoch oder gerade deswegen erschloß sich Clinton mit seinem Kollektiv musizierender madmen konzeptuell neues Territorium und legte den Grundstein für eine postmoderne schwarze Ästhetik, die die Werte des mainstream auf den Kopf stellte: Schwarzer Slang stach Shakespeare, die Gospel-Messe mutierte zur schrillen Kinderparty, und die Wahrheit lag, wenn nicht im All, so doch in einer von Fabelwesen bevölkerten Parallelwelt. In einer Zeit, in der die Ideale der Bürgerrechtsbewegung gescheitert waren, Rassenunruhen verbrannte Getto-Wüsten hinterlassen hatten und Black-Panther-Anführer von FBI-Agenten kaltblütig umgelegt wurden, klang das Clintonsche Comic-Reich plausibler als jedes „Shoo-Be-Doo“-Gesäusel.
„Die Musik von Funkadelic“, schrieb der „Rolling Stone“, „ist eine urbane Klangskulptur - nicht immer hübsch oder ansprechend, aber doch die wahrhaftigste Repräsentation urbanen Lebens, die uns schwarzer Pop bietet.“ Clinton und seine Männer lieferten den Soundtrack zu einem Kulturkrieg: dem bis heute andauernden Konflikt zwischen Anpassung und schwarzer Gegenästhetik. Nun bringt Westbound Records die ersten acht „Funkadelic“-Alben aus der Periode zwischen 1970 und 1976 wieder in die Plattenregale - eine längst überfällige Wiederveröffentlichung.
Genialische Regelbrecher
In einer Zeit, in der jeder zweite Hip-Hopper auf Clintons Grooves zurückgreift, dessen Erbe einem einzigen großen Sample-Steinbruch gleicht, lassen sich die Originale in neuem Licht lesen: als genialische Regelbrecher oder als phantastische Clownerien oder als Blaupausen eines ewigen schwarzen Utopia. Zusammen mit der personell fast identischen, eindeutig schwärzer klingenden Schwesterband „Parliament“ jedenfalls lieferte Funkadelic der zeitgenössischen Rhythm & Blues-Ästhetik ihren schmutzig schillernden Bodensatz.