
Was Punk heute heißt : Besser brausen
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Auf eine neue Brausepöter-Langspielplatte wartet kein Mensch. Deshalb ist sie dringend notwendig.
Alle Welt wartet hibbelig wie die Maus auf die Katze auf alles, was von den starken Sendern kommt: auf das Ende von Game of Thrones, auf das neue Bäuerchen von Beyoncé (keine Missverständnisse, bitte: Gott segne diese große Frau), auf Trumps Tweet für Zölle auf Luft – nur auf eine neue Brausepöter-Langspielplatte wartet kein Mensch. Deshalb ist sie notwendig, denn hibbeliges Warten macht Menschen nicht erst auf Dauer, sondern schon in jedem einzelnen Moment wahnsinnig. Die neue Brausepöter-Langspielplatte heißt „Nerven Geschädigt“, denn diese beiden mit Luftholpause dazwischen nebeneinanderstehenden Wörter sind zusammen ein Grabstein für den ermordeten Bindestrich und das verlorengegangene Vermögen, im Deutschen durch Kopplung von Ausdrücken auch Gedanken zueinander in Beziehung zu setzen (zählen Sie mal einen Tag lang, wie oft im Internet oder auf Plakaten Müll wie „der Youtube Star“ oder sogar „zum Niedrig Preis“ steht, und Sie werden den Verfall körperlich spüren).
Martin Lück, der Organist und Sänger von Brausepöter, einer deutschen Band, die 1978 gegründet wurde und leider zu gut war, um so berühmt zu werden wie Trio oder Die Toten Hosen, singt auf dem Eröffnungsstück von „Nerven Geschädigt“, das den Titel „Ewig Ding“ trägt, sehr selbstverständlich und unhysterisch: „Ich will nicht hip sein, fit sein / Ich will nicht stark sein, gefragt sein / Immer in euerm Sinn / Alles euer ewig Ding“. Dazu buchstabiert der Bass von Bernd Hanhardt das Wort „stur“ wie eine Unterschrift, und das Schlagzeug des Kollegen Kemper (Vorname fehlt) fällt von ganz oben die Treppe runter wie seinerzeit am Anfang von „Pretty Vacant“ bei den Sex Pistols.
Seinerzeit, aha, das ist also was Nostalgisches? Einerseits ja, aber andererseits im Sinne der Erinnerungen an etwas, das nie war, sondern hätte sein müssen: Die Nummer „Seele“ klingt wie die Herren von The Police geklungen hätten, wenn diese Band je cool gewesen wäre, und das Titelstück ist Filmmusik für eine deutsche Variante des Alex-Cox-Meisterwerks „Repo Man“ (1984), die keiner je gedreht hat. Aber eigentlich geht es um die Gegenwart, nur halt nicht so, wie die das befiehlt, sondern so, wie Berthold Seliger in seinem neuen Buch „Vom Imperiengeschäft. Konzerte – Festivals – Soziales. Wie Großkonzerne die kulturelle Vielfalt zerstören“ mit Blick auf das schreibt, worauf alle dauernd hibbelig warten, weil die Konzernkatze es uns, den Kundenmäusen, dauernd ankündigt: „Jede vernünftige Maus sollte sich klarmachen, dass sie sich mit Katzen nicht abgeben darf.“ Als Brausepöter neu waren, hieß „Punk“: Junge Leute weigern sich, den alten Quatsch weiterzumachen (inklusive der vorhandenen Popkultur). Heute kann „Punk“ heißen: Alte Leute weigern sich, den neuesten Quatsch zu lernen. So krumm und kaputt geht Geschichte.