Rapperin Myss Keta : Die Diva ohne Gesicht
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Anders als wir trug sie schon immer eine Maske: Die Rapperin Myss Keta Bild: Dario Pigato
Die italienische Rapperin Myss Keta ist ein Mysterium. Ihre Lieder sind eine kritische Enzyklopädie der italienischen Popkultur von den Siebzigern bis heute. Eine Begegnung in ihrem Revier in Mailand.
Inmitten des Lockdowns der zweiten Welle hat Myss Keta, die maskierte Königin der italienischen Clubnächte, Rapperin, Performance-Künstlerin und Ikone der LGBTQ, sich gerade zurückgemeldet. Mit einer Live-Performance aus dem Torre Galfa, einem Wolkenkratzer in Mailand aus den fünfziger Jahren, aus einem Zimmer mit bodentiefen Fenstern und unter sich die im Herbstnebel versinkende Stadt – seit zwei Wochen dürfen ihre Bewohner nur noch mit Passierschein aus dem Haus. Dort oben, über den Dächern der eingesperrten Menschen also, tanzte und sang „La Myss“ für ihre Fans, die per Stream zuschauten. Sie performte als Engel mit Eisenflügeln und schwarzem Ledermantel; in Lackhose und armlangen Silberhandschuhen; in Bustier und schwarzem Jackett. Sie schenkte ihnen eine halbe Stunde voller Energie, Poesie, erotischer Anspielungen und Witz, mit harten Beats, Club-Rythmen aus den Neunzigern und Songs aus ihrer nagelneuen EP „Il Cielo non è un limite“ („Der Himmel ist keine Grenze“). Sie zeigte: Kunst ist auch unter schwierigsten Bedingungen möglich.

Redakteurin im Feuilleton.
Während der gesamten Performance verbarg Myss Keta wie immer ihr Antlitz mit einer Sonnenbrille und einem Gesichtsschleier. Seitdem sie vor gut sieben Jahren aus der Mailänder Underground-Szene auftauchte und es schaffte, zu einer nationalen und internationalen Club-Berühmtheit zu werden, hat niemand je das Gesicht der Diva gesehen. Anfangs mokierte man sich über die Maskerade. Irgendwann setzte Gewöhnung ein; Myss Keta wird so akzeptiert und geliebt.
Früher wurde sie angestarrt
Ein paar Tage nach ihrem Auftritt hängt der Nebel noch immer über Mailand. „Während des ersten Lockdowns im Frühling hatte ich noch das Gefühl, ein Stream sei für mich der falsche Weg“, sagt Myss Keta. „Ich dachte, mir würde der direkte Kontakt zum Publikum fehlen. Jetzt bin ich sehr froh, es doch getan zu haben. Es hat riesigen Spaß gemacht.“ Auch ohne Mikrofon hat ihre Stimme ein rauchiges, erotisches Timbre. Die Rapperin steht im Forlanini-Park, bereit für einen kleinen Spaziergang in den sich der Dämmerung zuneigenden Tag. Wie nicht anders zu erwarten, trägt sie wieder schwarze Sonnenbrille und eine Mund-Nase-Bedeckung, dazu schwarze Hose, Bomberjacke und bequeme Schuhe. Keiner der Passanten oder Jogger nimmt von der blonden Frau Notiz. Früher war das anders, da wurde sie in der Öffentlichkeit angestarrt. Manche hielten sie gar für die maskierte Monica Bellucci. Mund-Nase-Bedeckungen sah man vor dem Ausbruch der Pandemie nur an asiatischen Touristen und bei Myss-Keta-Konzerten an der Diva und ihren Fans. Jetzt sieht ganz Italien wie eine gigantische Versammlung von Myss-Keta-Fans aus. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist zu einer Metapher der Zeit geworden.
Die „New York Times“ mutmaßte schon, Myss Keta, dieser „John-Waters-Traum von einem italienischen Rap-Star“, werde ihre Bedeutung und ihren Einfluss in der Musikszene deshalb bald verlieren. Sie schüttelt den Kopf: „Was sein wird und was nicht, kann derzeit niemand sagen. Selbst wenn jeder weiter eine Maske trägt, bleibe ich auch weiter zu 100 Prozent Myss Keta“. Was aber bedeutet das? Niemand weiß, wer die Frau ist, die sich hinter der Maske verbirgt. Myss Keta ist ein Mysterium, um das sich Legenden ranken, wie um eine Göttin der griechischen Mythologie.