Interview mit Die Ärzte : Jetzt mit erhobenem Zeigefinger
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Die Ärzte wollten nie eine Konsensband sein: Farin Urlaub, Bela B. und Rodrigo González. Bild: Jörg Steinmetz
Rebellion gegen die eigenen Prinzipien: Die Ärzte sprechen über ihr neues Album „Dunkel“, toxische Männlichkeit und die Vor- und Nachteile des Genderns.
Im vergangenen Jahr haben Sie das Album „Hell“ veröffentlicht, heute legen Sie mit „Dunkel“ nach. Sind die neuen Lieder von der Resterampe?
Farin Urlaub: Als wir „Hell“ gemacht hatten, gab es schon ein „Dunkel“ mit achtzehn Songs. Die waren noch nicht komplett fertig aufgenommen, aber wir hatten zum Beispiel schon eine Idee für deren Reihenfolge. Dann kam „Hell“ raus, wir sind vier Monate auseinandergegangen und haben in der Zeit vierzehn weitere Stücke geschrieben. Daraufhin haben wir von den achtzehn Liedern, die für „Dunkel“ vorgesehen waren, sieben runtergeworfen und acht hinzugefügt.
War es von vornherein geplant, die Alben so kurz hintereinander zu veröffentlichen?
Bela B.: Der erste Gedanke war, beide Platten gleichzeitig rauszubringen. Eine nur digital, eine nur analog. Dann kam Corona, wir haben das Studio gewechselt und sehr konzentriert gearbeitet. Während dieses Prozesses fiel der Entschluss, Album Nummer zwei erst mal liegenzulassen. Wir sind mit „Hell“ übrigens auch noch in den Charts.
F.U.: Was nur heißt, dass gestern einer das Album gekauft hat.
Rodrigo González: Vier Leute haben auf Youtube einen Song von der Platte angeklickt.
Das letzte Lied des Albums ist sehr politisch und trägt den Titel „Our Bass Player Hates This Song“. Stimmt das?
R.G.: Den Text finde ich nicht so geil, weil wir uns damit auf eine Erklär-Ebene begeben, wo wir nicht hingehören: Wir sagen euch jetzt mal, was es mit der Demokratie auf sich hat und wie wichtig sie ist. In dem Stück findet sich nicht umsonst ein „Sendung mit der Maus“-Zitat. Das Lied entzaubert die Band ein bisschen. Am Ende habe ich in einer demokratischen Abstimmung darüber, ob es mit aufs Album kommen soll, leider den Kürzeren gezogen.
B.B.: Erhobener Zeigefinger. Erklär-Gestus. Dass wir uns politisch links positionieren und für Gleichberechtigung plädieren, ist bekannt. Aber dass wir jetzt oberlehrerhaft über Demokratie dozieren – das ist exakt das, wogegen wir immer gestanden haben. Und genau deshalb wollte ich, dass das Stück auf die Platte kommt. Auf „Hell“ haben wir die Leute vor den Kopf gestoßen, weil wir politisch unkorrekt gesagt haben, Schwulwerden sei die einzige Möglichkeit im Kampf gegen Rechts …
F.U.: Und jetzt betonen wir ganz ernsthaft: Demokratie ist wirklich was Gutes.
B.B.: All die Bands wie K.I.Z, die durch krasse Provokationen auffallen, können sich mal gehackt legen. Wir provozieren viel mehr, indem wir einfach gegen unsere eigenen Prinzipien rebellieren.
Damit ist die nächste Frage im Grunde schon beantwortet. In „Kerngeschäft“ heißt es: „böser, leider auch langweiliger“. Wie ist Provokation überhaupt noch möglich?
B.B.: Ich experimentiere gerade mit Passagen aus Pur-Texten. Im Ernst: Wir beobachten schon genau, was passiert. Das Gute an dem Skandal-Song von Kollegah und Farid Bang war, dass der Echo deswegen abgeschafft wurde. Die Provokation hat mich allerdings gar nicht so erreicht. Es gibt ganz andere Songs, über die man reden müsste. Kollegah hat antisemitische Lieder noch und nöcher.
F.U.: Als wir 2020 in den „Tagesthemen“ aufgetreten sind und das Intro der Sendung gespielt haben, war es für viele Leute vor allem ein Thema, dass wir Anzüge anhatten. Und natürlich wurden aus den Anzügen sofort Maßanzüge, das liest sich einfach hassenswerter. Tatsächlich war meiner von der Stange.