Ian Anderson : Der Atem der Lokomotive
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Der Mann mit der Flöte: Ian Anderson Bild: AP
Der Schotte Ian Anderson von „Jethro Tull“ ist eine schillernde Randfigur der Rockmusik. Anderson führte die Querflöte im Rock ein und begegnete einmal sogar Johann Sebastian Bach auf Augenhöhe. Heute wird er sechzig.
Der Schotte Ian Anderson ist eine schillernde Randfigur der Rockmusik, ein Hinterbänkler in der kollektiven Erinnerung der Generation, die mit den Rockpionieren aufgewachsen ist. Schon früh überlagerte die Irritation über sein Musizieren seinen stilprägenden Einfluss; das lag vor allem an seinem Instrument.
Anderson führte die Querflöte im Rock ein, und bislang ist ihm niemand auf den selbsterrichteten Thron gefolgt. Seine vorwiegend rockbrachiale Technik hatte Anderson dem Jazzmusiker Roland Kirk abgeschaut, dessen Spezialität es war, mehrere Saxophone gleichzeitig zu spielen. Doch trotz der Anderson-Soundspektakel wird niemand ernstlich behaupten, dass die Querflöte ein wichtiges Instrument im Rock geworden sei. Für Anderson selbst war das Blasinstrument immer Ersatz für die Gitarre, die er nicht perfekt spielen konnte, weil es neben ihm Eric Clapton gab. Einen Clapton aber kann es nur einmal geben.
Allerlei Inszenierungshokuspokus
Im rockhistorischen Rückblick ist Anderson selbst Querflötenklang geworden. Was sonst noch bleibt, ist allerlei Inszenierungshokuspokus wie die Angewohnheit, beim Spielen auf einem Bein zu balancieren. Doch der Blick in die lange Rockgeschichte zeigt, dass es auch eine Art Verfallsdatum für Typisierungen gibt. Sogar Originalität beginnt einmal zu langweilen. Es ist ein Verdienst Andersons, dass er die Mechanismen des Rockgeschäfts früh erkannte, sie aber nie öffentlich verachtete wie manch anderer, der sich damit interessant machen wollte. Ian Anderson spielte immer mit, wahrte dabei jedoch stets selbsterfrischende Distanz. So kam es freilich auch, dass sein Bild im Rock eigenartig blass blieb, einer Fotografie gleich, die lange in der Sonne lag.
Einige Musikstücke sind von ihm und der Band „Jethro Tull“ in Erinnerung geblieben, die er vor vierzig Jahren mitbegründete und als einziger Musiker nie verließ, so dass „Jethro Tull“ und Ian Anderson längst eins geworden sind. Hard-Rock-Exegeten werden sich an das Stampfen von „Locomotive Breath“ erinnern, Folkfeingeister an den kapriziösen Fünfvierteltakt von „Living in the Past“ – den Universalschlüssel für das musikalische Selbstverständnis Andersons –, und wer weiter gekommen ist in der musikalischen Sozialisation, wird mit Wehmut an Andersons „Bourée“ denken und wie sich dort der Rocker und Johann Sebastian Bach einmal auf Augenhöhe begegneten. Das war damals eine Sensation, denn es war ein erstes Mal im Rock.
Politisch konservativ
Darüber hinaus mag man an Songs denken, die jenseits ihrer Töne Bedeutung gewonnen haben; mancher seiner Einfälle fand sogar Einlass ins Schatzkästlein ewiger Rockweisheiten. „Too Old to Rock ’n’ Roll, Too Young to Die“ nannte Anderson ein Album, als er selbst nicht einmal dreißig war und damit noch in dem Alter, da man einander vertraut – wie es die Umkehrung des kecken Leitspruchs seiner Generation verhieß.
Ian Anderson pflegte stets Interessen neben der Musik. Als politisch Konservativer blieb er seiner Heimat treu, den englischen Steuergesetzen zum Trotz. Außerhalb von Musikstudio und Bühne investierte und verdiente er Geld mit Lachsfarmen vor Schottlands Küsten, die zeitweise Hunderten Arbeit gaben. Auf seinem Landgut in Südengland züchtet er seltene Chilisorten. Er engagiert sich im Naturschutz und für das Urheberrecht von Rockmusikern. Und immer noch spielt er bisweilen Musik, immer öfter auch neues Altes, etwa im vorigen Jahr mit der amerikanischen Jazzsängerin Dee Dee Bridgewater zu Mozarts Geburtstag in Wien. Heute feiert Ian Anderson selbst Geburtstag, er wird sechzig Jahre alt.