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Die Briefmarke der Deutschen Post zum 75. Geburstag des 2016 verstorbenen David Bowie. Bild: dpa

David Bowies Nachlass : Spielzeuge des Nachruhms

75. Geburtstag, sechster Todestag: Jetzt gibt es sogar eine David Bowie-Briefmarke. Und eine neue Platte mit alten Songs, „Toy“. Wie passt die Nachlassverwaltung des verstorbenen Popstars zu dessen kontrolliertem Selbstbild?

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          Der englische Popstar David Bowie war ein Verwandlungskünstler, der in immer neuen Kostümen und Figuren durch seine Karriere ging, mal als Außerirdischer, dann als dünner weißer Fürst – dass er aber einmal zur Briefmarke der Deutschen Post werden würde, Porto zu 85 Cent, hätte ihn wahrscheinlich selbst überrascht, wenn er es noch erlebt hätte.

          Tobias Rüther
          Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          Vor sechs Jahren ist David Bowie an Krebs gestorben, am 10. Januar 2016, und nur zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag. Seitdem ist kaum ein Jahr vergangen, in dem nicht irgendetwas aus Bowies Nachlass verkauft, neu vermarktet oder erstmals veröffentlicht wurde. 

          Das begann schon gleich im Herbst nach Bowies Tod mit der Versteigerung seiner privaten Kunstsammlung (Jean-Michel Basquiat, Erich Heckel, Tintoretto) und hat vor einigen Tagen einen vorläufigen Höhepunkt erreicht: als die Erben Bowies nämlich sämtliche seiner Songrechte an den Verlag Warner Chappell Music verkauften, für geschätzte 250 Millionen Dollar.

          Gleichzeitig erscheinen wieder alte Alben Bowies in neuen Boxsets, diesmal aus den Neunzigerjahren – und das bisher unveröffentlichte Projekt „Toy“: Dabei handelt es sich um Neuaufnahmen von mittlerweile fast fünfzig Jahre alten Bowie-Songs aus der chaotisch-erfolglosen Frühphase seiner Karriere.

          Zur Freude der Fans

          Als Bowie diese Songs (es sind mehr oder weniger aufregende Flops) vor zwanzig Jahren wieder eingespielt hatte und mit neuem Material vermischt veröffentlichen wollte, hatte seine damalige Plattenfirma das noch abgelehnt. Jetzt, zum 75. Geburtstags Bowies am 8. Januar, erscheinen sie also doch, bei Parlophone/Warner und zur Freude der Fans.

          Und zu diesen Fans zählen also die Deutsche Post genauso wie Bundespräsident Steinmeier. Für die seit Jahren kursierende Idee, einen David-Bowie-Platz in Berlin-Schöneberg einzuweihen, wo der Sänger Mitte der Siebzigerjahre kurz lebte, tritt inzwischen auch die dortige CDU ein. Seit dem Tod ist er international zur Konsensfigur geworden. Mal sehen, wann der Antrag gestellt wird, ihn ins Weltkulturerbe aufzunehmen.

          David Jones im Jahr 1965. In dieser Zeit nahm er den Künstlernamen Bowie an.
          David Jones im Jahr 1965. In dieser Zeit nahm er den Künstlernamen Bowie an. : Bild: Getty

          Bemerkenswert an alldem ist die Dynamik zwischen der Historisierung Bowies als bedeutender britischer Künstler des 20. Jahrhunderts, die er selbst in den letzten Jahren seines Lebens eingeleitet hatte, mit einer Wanderausstellung seiner Kostüme und dem Musical „Lazarus“, das auf seine Figuren zurückblickt – und einer Nachlassverwaltung ohne Geheimnis: Was noch da ist, wird veröffentlicht. „Toy“, die teuer produzierte neue Sammlung der frühen Flops, kann am Ende wirklich nur die Fangemeinde brauchen, den Songs hat die aufgemotzte Produktion jedenfalls nicht gutgetan.

          Und doch erzählt „Toy“ eine Geschichte, zwei eigentlich: einmal die eines sehr jungen Künstlers mit grenzenlosem Sendungsbedürfnis, der alles versucht, um bekannt zu werden: kurze Haare, lange Haare, Jazz, Beat, Folk, nichts klappt. Und dann die Geschichte des Superstars, der aus diesem jungen Mann geworden ist und der Jahre später so etwas wie eine trotzige Rehabilitation seiner frühen Misserfolge versucht.

          Berühmt war David Bowie nach all den Flops, die „Toy“ jetzt dokumentiert, mit maximaler Zurschaustellung geworden: auf der Bühne und abseits von ihr, als Figur, Kostümkopf, Projektionsfläche. Das hatte im Pop noch niemand vor ihm so gemacht. Aber je berühmter Bowie diese Zurschaustellung machte – und Anfang der Siebzigerjahre war niemand im Pop so berühmt-berüchtigt wie er –, desto stärker wuchs der Wunsch des Künstlers, sich hinter seine Figuren zurückzuziehen.

          Ein Scheinwiderspruch, aber für Bowie war der Unterschied zwischen Kunst und Leben, den er selbst demontiert hatte, bald existenziell geworden: weil es ihn fast den Verstand gekostet hätte, so ausschweifend zu leben wie die Figuren, die er sich ausgedacht hatte. Diskretion wurde zentral für seine Arbeit, Bowie hat Leute um ihn herum abgestraft und hinausgeworfen, wenn die dann doch zu viel über ihn ausplauderten.

          Ein unscheinbarer Mann mit kurzen Hosen

          Zurückgezogen lebte er zuletzt in New York mit seiner Frau Iman Abdulmajid und der gemeinsamen Tochter. Eines der wenigen Paparazzi-Bilder aus dieser Zeit zeigen einen unscheinbaren Mann in kurzen Hosen, der seinem Verfolger einen Mittelfinger in die Kamera hält.

          Iman Abdulmajid hat kürzlich das amerikanische Modemagazin „Vogue“ in das Landhaus der Familie in den Catskill Mountains eingelassen. Sie zeigt dort Kunst, die sie sich gegenseitig geschenkt haben, das Bild, das ihre Tochter von sich und ihrer Mutter gemalt hat, Lieblingskissen, ein Selbstporträt Bowies, sie präsentiert auch ihr erstes Parfüm, „Love Memoir“, entworfen in Erinnerung an ihren verstorbenen Mann.

          Hier die starke Kontrolle des künstlerischen Nachruhms David Bowies nach seinen eigenen Wünschen, dort die plötzliche Indiskretion seiner Hinterbliebenen: Zusammen macht das, bei aller Wehmut über seinen Tod, vor allem ratlos.

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