„Gods of Violence“ von Kreator : Wer so etwas hört, ist auf alles vorbereitet
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Wie kaum eine andere deutsche Band vermittelt sie zwischen dem progressiven und dem konservativen Flügel der Szene: Kreator aus Essen Bild: Robert Eikelpoth
Das Erhabene des Horrors als auskristallisierte Ästhetik: Kreator, die heimliche Volkspartei des Heavy Metal, hat ein neues Album aufgenommen.
Wir leben in merkwürdigen Zeiten. Lauscht man Politikern, so wird der Ton stündlich schriller, aggressiver, verletzender. Gleichzeitig sitzen die Krawatten wie eh und je, und ihre Träger versichern treuherzig, sie wollten doch nur Normalität, Anstand, Sicherheit, Ausgleich. Redet man indes mit Mille Petrozza, dem Sänger, Gitarristen und künstlerischen Kopf der Thrash-Metal-Band Kreator, so verhält es sich genau umgekehrt.
In ästhetischer Hinsicht herrscht bei den Essenern nach wie vor Ausnahmezustand - die Haare lang, die Songs extrem, die Texte voll apokalyptisch-gnostischer Szenerien. Keine Krawatten, auch keine ironischen. Zarte Bürgerseelen dürften angesichts der drastischen Videos zum neuen Album „Gods of Violence“, der harten Riffs und der sinistren Reime weiterhin Unbehagen verspüren. Doch im Gespräch gibt sich Petrozza, der früher durchaus auch mal provozierte, abgeklärt, informiert, überparteilich, unprätentiös. Mal führt er den Aufstieg der AfD mit souveräner Dialektik auf den Überschwang linksprogressiver Rhetorik zurück, mal warnt er vor populistischen Rattenfängern, mal preist er den Schweizer Schnulzensänger Dagobert, mal beruft er sich auf Hieronymus Bosch und die Johannes-Offenbarung als Inspiration. Vor einigen Jahren trat er sogar im Kinderfernsehen auf. Während die Politik zurück in die identitätsverpeilte Pubertät schlittert, tritt der Metal mit Bands wie Kreator in sein diplomatisches, liberales Reifestadium ein.
Ziemlich staatsmännisch
Kreator ist die heimliche Volkspartei des Heavy Metal. Wie kaum eine andere deutsche Band vermittelt sie zwischen dem progressiven und dem konservativen Flügel der Szene - und das, obwohl Petrozza seit je dem linken Milieu nahesteht und sich auch von Punk und Hardcore beeinflussen ließ: „Der Konsens-Musikgeschmack verbindet die Metalfans, was jedoch nicht heißt, dass wir alle gleichgeschaltet denken. Klar gibt es in allen Subkulturen Konservative, die ihre ,Werte‘ und ihre ,Kultur‘ bewahren wollen, aber das ist Schwachsinn. Ich habe gelernt, damit zu leben. Bevormunden möchte ich die Leute nicht. Doch der Grund, warum wir alle diese Musik so lieben, ist ihr freiheitlicher Charakter - und das muss, wie in der Politik, auch Toleranz Andersdenkenden gegenüber bedeuten.“ Ziemlich staatsmännisch.
Auch wenn „Gods of Violence“ keinen Meilenstein im jüngeren Schaffen der 1982 als Tyrant gegründeten Band darstellt, verdeutlichen vor allem die Songtexte ihre verbindenden Qualitäten. Aber zunächst mal ist da ja die Musik - die zum Glück weiterhin polarisiert.
Der Wettbewerbsvorteil der Metalfans
„Gods of Violence“, das sind elf im TGV-Tempo vorüberrasende und entsprechend mitreißende, angenehm transparent gemischte Songs mit geschmeidig-schneidiger Verzerrung und dem unvermeidlichen So-klingt-das-Maschinenzeitalter-Schlagwerk. Stilistisch betrachtet, ist das traditioneller Achtziger-Jahre-Thrash-Metal auf hohem produktionstechnischem Niveau, durchhaucht von einem romantisch-expressionistischen Pathos. Gefühlt tausendfach geschichtete Refrainstimmen schmettern Zeilen wie „We carry each other through the darkest hours of life!“, mehrstimmig jubilierend schrauben sich die Gitarren in quasibarocke Ekstase, während die streng kontrollierten Geschützdonner der Perkussionsbatterien unablässig über die Schlachtplatte rollen.
Hätte Ernst Jünger eine Metalband gegründet, vielleicht hätte sie ja ähnlich geklungen: das Erhabene des Horrors als auskristallisierte Ästhetik. Weil sich der Horizont des Weltgeschehens derzeit verdunkelt und neue Stahlgewitter aufflackern, wirkt die apokalyptische Motivwelt Kreators zudem überaus prophetisch. Der Wettbewerbsvorteil der Metalfans besteht darin, dass sie seit langem ahnten, dass es bald schon wieder so schlimm kommen könnte, wie sie sich immer schon fühlten.
Slogans und Sprechblasen, aber immerhin
Was aber die Lyrik Petrozzas anbelangt, so könnte sie kaum weiter von Jüngers distanzierter, kalter, defätistischer Bombendandyprosa entfernt sein. Befriedigt die Musik Kreators den Konservatismus des Heavy Metal und seinen Hang zur letztlich unverbindlichen großen Geste, so konterkariert Petrozza diese Selbstgenügsamkeit verbal und appelliert an die unterdrückte aktivistische Seele des bummelig-brummeligen Metalstammtisches. Unerwartet deutlich keift er „let’s crush homophobia!“ oder schwingt kleine Ruckreden, in denen der anarchistisch-libertäre Hintergrund der Band aufblitzt: „Let us remember what it once meant / To be no Untertan, no God and no government.“
Waren sich die tolkienlesenden Metalfans und die molliwerfenden Punks in den siebziger Jahren spinnefeind, so wächst hier zusammen, was zusammen stört. Auch die Textzeile „We will survive totalitarian terror“ appelliert einheitsfröntelnd an Solidarität, Gemeingeist, Vernunft. Klar geschieht das alles in Form von Slogans und Sprechblasen. Aber immerhin. Und es ist ja immer noch Pop. Populär. Nicht populistisch.