Coldplay-Album „Ghost Stories“ : Der Verrat
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Direkt aus den Tälern tränengetränkter Bettlaken
Es ist diese Lieblosigkeit der Liebe gegenüber, die Stummheit dieser Musik, gepaart mit den epischen Erzählungen über ihre Entstehung und dem über Sufismus und japanische Keramik als Metaphern daherschwatzenden Chris Martin, die das Ganze so unerträglich und letztlich auch so böse erscheinen lässt. Es gibt Tropen in der Popmusik, dazu zählt ganz massiv der Liebeskummer; und die werden immer wieder bedient und auch immer wieder schamlos bedient. So phantastisch Songs wie Dylans „Don’t Think Twice“ oder Joy Divisions „Love Will Tear Us Apart“ dieses Thema verhandeln, ist es doch sicher, dass sowohl Dylan wie auch Ian Curtis beim Schreiben gewusst haben, dass sie sich in den vorgesteckten Grenzen eines historisch hinlänglich behandelten Genres bewegten, das sie dann mit großen Gefühlen auszukleiden vermochten.
Und schamlos machen das natürlich Leute wie zum Beispiel Rihanna oder Lana Del Rey, aber sie machen es ohne dieses Bombardement mit Backstorys, Mystik und tragischem Gesichtsausdruck, und damit auf ihre Art und Weise immer noch ehrlich und unmittelbar. Es ist, wenn man sich deren Nummern anhört, genau wie bei den alten Beatles-Songs unausgesprochen klar, dass es sich hier nicht um Ernst, sondern um Entertainment handelt, oder um die Schulter zum Ausheulen für das weinende Kind.
Coldplay hingegen tragen diese ganze Platte mit einem Gestus bierernster Humorlosigkeit vor, der im Hörer nicht allein Widerwillen, sondern tatsächlich Wut hervorruft. Vielleicht ist das alles total gemein, vielleicht hat Chris Martin wirklich mit sich gerungen und die Songs endlich aus den Tälern seiner tränengetränkten Bettlaken in sein iPhone geschluchzt, aber wenn dem so sein sollte, dann ist unterwegs alle Substanz verlorengegangen, und ganz ehrlich, man glaubt ihm seine Trauer nicht ansatzweise.
Zynische Glattbügelung
Vielmehr kann man sich paranoid fragen, wie die Veröffentlichung der privaten Nachrichten den Komplex Martin-Paltrow betreffend bloß so treffend mit einer Platte zu eben jenem Thema koinzidieren konnte. Und wenn sich beide einig gewesen sein sollten, dass man die Trennung sehr werbewirksam kurz vor dem Erscheinen des Albums öffentlich machen sollte, dürfen sie sich nicht wundern, dass andere diese Privatgeschichten dann ebenso schamlos in ihre Bewertung mit einfließen lassen.
Am Ende ist das alles vielleicht viel zu hochtrabend. Die neue Coldplay-Platte ist total belanglos, egal, weg damit, weiter. Aber der Eindruck, dass hier jemand die allerschönsten, traurigsten, wichtigsten Situationen unserer Existenz über riesige Flachbildfernseher in der gesamten Welt jagt, um damit Dünnpfiff zu verticken, kann einen sehr wohl zornig machen, und auch ängstlich, denn natürlich ist im Schmerz immer auch die Möglichkeit zur Reflexion der Welt gegeben, und hier hat man das Gefühl, dass der Schmerz einer computergenerierten Simulation auf der Stufe „Mildly Painful“ weichen soll, dass eine zynische Glattbügelung stattfindet, deren leise Bitterkeit die Bitterkeit des vom Markt eingeflößten Morphins ist, mit dem jede menschliche Regung im Nebel enden soll. Diese Musik, um es kurz zu sagen, hat etwas Beunruhigendes, aber vielleicht ist das auch nur die derart verregnete Jahreszeit, vielleicht wäre es einem bei mehr Sonnenschein einfach egal, dass Chris Martins Verzweiflung wie Kodein schmeckt.