Cloud-Rap : Es ist zum Weinen
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Aus Hamburg: Ronja Zschoche alias Haiyti Bild: dpa
Was bedeutet eigentlich „Cloud Rap“? Zur Begriffsklärung eines Mikrogenres, das nach einem Missverständnis benannt wurde und von dem kaum jemand weiß, wodurch es sich auszeichnet.
Als Walker Chambliss im Jahr 2010 auf seinem Blog erstmals den Begriff „Cloud Rap“ verwendete, um den Rapper Squadda B zum König des Genres zu erklären, hatte von dieser Bezeichnung außer Chambliss noch nie jemand gehört. Streng genommen nicht einmal Chambliss selbst: Dieser glaubte nämlich, den Begriff in einem anderen Blogeintrag gelesen zu haben, was sich jedoch als Irrtum herausstellte. Er bezog sich auf ein Interview, das der Journalist Noz für seinen Blog „Cocaine Blunts“ mit dem Rapper Lil B geführt hatte. Nur kam der Terminus „Cloud Rap“ in dem Interview gar nicht vor: Lil B hatte lediglich das computergenerierte Bild eines in den Wolken schwebenden Schlosses gezeigt und kommentiert: „That’s the kind of music I want to make.“
Symptomatisch für das Mikrogenre Cloud Rap ist an dieser Anekdote nicht nur, dass kaum noch zu ermitteln sein dürfte, ob sie wahr ist: Die beiden Blogs sind aus der Blogosphäre verschwunden, das in der Cloud gespeicherte Wissen löst sich mitunter spurlos auf wie eine Gruppe Schäfchenwolken am Horizont. Es ist auch weniger die Tatsache, dass man die Krone der Disziplin vergeben hat, bevor diese als solche existierte. Wirklich symptomatisch ist, dass der aus einem Missverständnis hervorgegangene Begriff sich etablieren konnte, ohne dass bekannt gewesen wäre, was damit genau gemeint war. Das schwebende Schloss ist eben ein schwebendes Schloss: Was sich hier andeutet, ist die Reproduktionslogik des Internets, in der die Wiederholung an die Stelle präziser inhaltlicher Konturierung tritt. Was zählt, sind Teilbarkeit, Stimmung, Haltung zur Welt und Catchiness.
Zugang zum Markt nicht über klassische Wege
Lil B, der als Urvater des Genres gilt, hat diese Produktionsweise zur Maxime seiner Musik erhoben. Schon im Jahr 2012 gab er an, mehr als zweitausend Tracks online veröffentlicht zu haben, eines seiner Mixtapes umfasst 855 Titel. Sein textlicher Output bleibt dabei oft rätselhaft, hin und wieder beschränkt er sich auch auf die Identifizierung mit einer bekannten Persönlichkeit: „I’m Miley Cyrus / I’m Miley Cyrus / Cyrus / Cyrus / I’m Miley Cyrus“, „I look like Mel Gibson / I’m Mel Gibson ...Oh my god, I’m Mel Gibson“, oder auch einfach nur „I’m God“. Hier treffen sich Momentaufnahme, Kommentar und Witz: Es ist die Transponierung der Darstellungsform des Memes in den gerappten Vers. Dabei ist Lil B selbst zu einer Art Meme geworden. Von seinen Fans wird der „Based God“ wie eine auf die Erde herabgestiegene Gottheit verehrt, er hat 1,7 Millionen Follower auf Twitter und sein Youtube-Kanal verzeichnet über 124 Millionen Aufrufe. Das von ihm geprägte Lifestylekonzept des „Based“-Seins – eine vage umrissene Form der Positivität – verfügt sogar über eine eigene Emoji-Reihe.
Seither hat man dem Wörtchen „Cloud“ in „Cloud Rap“ meist zwei Bedeutungen zugeschrieben. Einerseits bezieht es sich auf die Distributionswege und Kommunikationsformen der Internetkultur: Viele der dem Mikrogenre zugeordneten Künstler veröffentlichten ihre Musik, zumindest zu Beginn ihrer Karriere, gratis auf Streaming-Portalen und Videoplattformen. So bekamen sie schnell Zugang zum Markt, ohne auf traditionelle Gatekeeper wie Labels Rücksicht nehmen zu müssen. Es entstand eine flüchtige, durch die Bilderwelten des Internets geprägte Ästhetik mit einem gehörigen Schuss Do-it-yourself, die Trash und digitale Objets trouvés recycelte und bei der den Videos meist derselbe Stellenwert zukam wie der Musik selbst. Der Rapper war nun auch in seiner Freizeit Kunstfigur, er wurde zum allgegenwärtigen verkörperten Gesamtkunstwerk.
Trap im Hustensaft
Andererseits aber scheint das Schloss in den Wolken auch auf ein von der Musik transportiertes Gefühl zu verweisen: eine verträumte, nebulös-ätherische Stimmung, aus der noch das Schlafzimmer herauszuhören ist, hinter dessen zugezogenen Vorhängen die Sounds ursprünglich produziert wurden. Der Rapper Mondre M.A.N. fasste sie einmal wie folgt zusammen: „Cloud Rap ist, was du daraus machst. Von hundert Leuten wird dir wahrscheinlich jeder etwas anderes erzählen. Für mich fing es damit an, dass ich nachts in die Sterne geschaut habe, ich habe Flugzeuge gesehen und so und wünschte mir, ich wäre eines von ihnen.“
Musikalisch klingt das häufig, als habe man Trap – eine den amerikanischen Südstaaten entstammende Genrevariante, die klassische Rapsounds der Verflüssigung aussetzt und mittlerweile bis in den Pop vorgerückt ist – in einen Becher Hustensaft eingerührt: Zu hören sind ölige Klangteppiche, kristalline Synthesizer sowie beschleunigende und abbremsende Becken (Hi-Hats), hinzu kommen melancholische Melodien, Autotune und, auf der textlichen Ebene, eine neue Aufgeschlossenheit gegenüber der eigenen Gefühlslage, ein Hang zur Einfachheit, zum Nonsense und zum Surrealen.
Schwede Yung Lean brachte das Phänomen nach Europa
Die umstrittene Frage nach den Grenzen des Genres ist dagegen relativ uninteressant. In den Vereinigten Staaten scheint man es bereits in der Kiste mit den Hypes der Vergangenheit verstaut zu haben. Nach Europa gebracht hat es der Schwede Yung Lean, dessen Karriere ebenfalls auf Youtube begann: Im Video zu „Ginseng Strip 2002“ aus dem Jahr 2013 ist ein pausbäckiger Teenager mit Fischerhut zu sehen, der wie in Zeitlupe die Bewegungen amerikanischer Trap-Künstler nachahmt und dazu vage über seine Liebe zu Eistee, Morphium und das Einsamsein rappt.
Das Video wurde zum Internetphänomen; mit „Unknown Death“ folgte ein Album, auf dem Lean und sein Sad-Boys-Kollektiv in unnachahmlicher Weise die melancholische Grundbefindlichkeit einer Generation besingen, die zwischen Drogenexzess, Langeweile und dem Bedürfnis nach Liebe schwankt. Wenn Lean in „Hurt“ mit monotoner Stimme konsumierte Substanzen („LSD“), bereiste Orte („Italy“) und verspeiste Snacks („Oreos“) aufzählt, werden Orientierungslosigkeit und Verzweiflung an der Banalität gesicherter Existenzen spürbar: „Suicideyear/Sad Boys“. In ihren großartigsten Momenten fühlt sich diese Musik an wie der müde Versuch, das Herunterkommen von einem High mit noch mehr Drogen aufzuhalten, wobei sich die Erkenntnis einstellt, dass auch das nichts mehr bewirkt.
Zwischen Drogensucht und Doppelhaushälfte
Ohnehin: Nüchtern sind solche Eskapismen nicht zu haben. Nicht zuletzt damit wurde Lean zu einer prägenden Figur. Sein Name ist eine Anspielung auf den Purple Drank, eine Mischung aus codeinhaltigem Hustensaft, Sprite und Hustenbonbons, die angenehme Benommenheit hervorruft. Auch im deutschsprachigen Rap, der die interessantesten Impulse der letzten Jahre dem Cloud Rap verdankt – zu nennen wären LGoony, Yung Hurn, Haiyti und RIN – wird kräftig Chemie konsumiert. Die Technokultur hat ihre Spuren hinterlassen: Das Narrativ des Benachteiligten, der sich mit Drogendeals und Banküberfällen aus seinem Problembezirk herausarbeitet, spielt kaum noch eine Rolle. Wenn, dann nur als bis ins Absurde gesteigerter Topos wie in LGoonys „Millionen Euro“: „Bitch, ich kaufe mir dies. Und danach kauf ich mir das. Bitch, ich hab Money und das ist die Aussage also ich mach was ich mach.“
So verwundert es auch nicht, dass der Großteil dieser Künstler einem mehr oder weniger stabilen sozialen Umfeld entstammt. Yung Lean ist der Sohn eines schwedischen Schriftstellers und Übersetzers, Haiyti gestand kürzlich in dieser Zeitung, in ihrer Kindheit Springreiterin gewesen zu sein. Dass Jugend und fortgeschrittene Drogenkarriere immer wieder gleichzeitig betont werden, wirkt mal wie die Flucht aus finsterem Doppelhaushälften-Ennui, mal wie Widerstand gegen die Zumutungen des Funktionierens. In „Nein“ bringt Yung Hurn diese Haltung auf den Punkt: „Nein“, heißt es da immer wieder, „ich hab keine Zeit“. Überhaupt scheint Hurn sich wie kaum ein zweiter Musiker der Gegenwart an der Frage abzuarbeiten, ob es möglich ist, dem Leistungszwang durch die Abdichtung der eigenen Wahrnehmungskanäle zu entgehen.
Rapper dürfen Gefühle zeigen
Auch deshalb hat man sich vom Ideal technischer Perfektion verabschiedet. Hurn tippt seine Texte häufig in wenigen Minuten in sein Telefon, RINs Satzbau folgt ganz eigenen Regeln („Ich bleib in Bietigheim, solang bis ich leb“). Es geht nicht mehr darum, die Konkurrenz mit ausgefallenen Vergleichen und Punchlines aus dem Weg zu räumen. Gepflegt werden das Spontane, das Improvisierte, Atmosphäre und Textur. Dann legt sich Cloud Rap schützend wie ein violetter Mantel um akzelerierte Körper. Auf seinem grandiosen Album „Eros“ erfindet RIN eine aus Turnschuhen, Markennamen, Computerspielen und Rauschmitteln zusammengesetzte Privatmythologie, die peinlich wäre, verliefe sie nicht über derart kathartische Klanggerüste. Feinfühlig berichtet er von einer Zone an der Peripherie der Optimierung: In „Sag mir wenn du high bist/Komm in meine Seele“, einem dadaistischen Diptychon zwischen Sexual- und Todestrieb, heißt es: „Baby komm, wir machen uns gemeinsam kaputt / Aus zwei werden eins, komm wir teiln unsre Luft.“
So etwas galt, gerade unter männlichen Rappern, lange als Zeichen der Schwäche. Das eigene Innenleben wurde nicht gezeigt. Hier ist Zerrissenheit zum Qualitätsmerkmal avanciert: So etwa, wenn die Hamburger Rapperin Haiyti in „Ein Messer“ heulend vorbringt, sie werde sich ein solches unters Herz tätowieren. Auch das ist Cloud: der Augenblick, in dem zu deutschem Sprechgesang nicht nur getanzt, sondern auch geweint werden darf.