Cloud-Rap : Es ist zum Weinen
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Seither hat man dem Wörtchen „Cloud“ in „Cloud Rap“ meist zwei Bedeutungen zugeschrieben. Einerseits bezieht es sich auf die Distributionswege und Kommunikationsformen der Internetkultur: Viele der dem Mikrogenre zugeordneten Künstler veröffentlichten ihre Musik, zumindest zu Beginn ihrer Karriere, gratis auf Streaming-Portalen und Videoplattformen. So bekamen sie schnell Zugang zum Markt, ohne auf traditionelle Gatekeeper wie Labels Rücksicht nehmen zu müssen. Es entstand eine flüchtige, durch die Bilderwelten des Internets geprägte Ästhetik mit einem gehörigen Schuss Do-it-yourself, die Trash und digitale Objets trouvés recycelte und bei der den Videos meist derselbe Stellenwert zukam wie der Musik selbst. Der Rapper war nun auch in seiner Freizeit Kunstfigur, er wurde zum allgegenwärtigen verkörperten Gesamtkunstwerk.
Trap im Hustensaft
Andererseits aber scheint das Schloss in den Wolken auch auf ein von der Musik transportiertes Gefühl zu verweisen: eine verträumte, nebulös-ätherische Stimmung, aus der noch das Schlafzimmer herauszuhören ist, hinter dessen zugezogenen Vorhängen die Sounds ursprünglich produziert wurden. Der Rapper Mondre M.A.N. fasste sie einmal wie folgt zusammen: „Cloud Rap ist, was du daraus machst. Von hundert Leuten wird dir wahrscheinlich jeder etwas anderes erzählen. Für mich fing es damit an, dass ich nachts in die Sterne geschaut habe, ich habe Flugzeuge gesehen und so und wünschte mir, ich wäre eines von ihnen.“
Musikalisch klingt das häufig, als habe man Trap – eine den amerikanischen Südstaaten entstammende Genrevariante, die klassische Rapsounds der Verflüssigung aussetzt und mittlerweile bis in den Pop vorgerückt ist – in einen Becher Hustensaft eingerührt: Zu hören sind ölige Klangteppiche, kristalline Synthesizer sowie beschleunigende und abbremsende Becken (Hi-Hats), hinzu kommen melancholische Melodien, Autotune und, auf der textlichen Ebene, eine neue Aufgeschlossenheit gegenüber der eigenen Gefühlslage, ein Hang zur Einfachheit, zum Nonsense und zum Surrealen.
Schwede Yung Lean brachte das Phänomen nach Europa
Die umstrittene Frage nach den Grenzen des Genres ist dagegen relativ uninteressant. In den Vereinigten Staaten scheint man es bereits in der Kiste mit den Hypes der Vergangenheit verstaut zu haben. Nach Europa gebracht hat es der Schwede Yung Lean, dessen Karriere ebenfalls auf Youtube begann: Im Video zu „Ginseng Strip 2002“ aus dem Jahr 2013 ist ein pausbäckiger Teenager mit Fischerhut zu sehen, der wie in Zeitlupe die Bewegungen amerikanischer Trap-Künstler nachahmt und dazu vage über seine Liebe zu Eistee, Morphium und das Einsamsein rappt.
Das Video wurde zum Internetphänomen; mit „Unknown Death“ folgte ein Album, auf dem Lean und sein Sad-Boys-Kollektiv in unnachahmlicher Weise die melancholische Grundbefindlichkeit einer Generation besingen, die zwischen Drogenexzess, Langeweile und dem Bedürfnis nach Liebe schwankt. Wenn Lean in „Hurt“ mit monotoner Stimme konsumierte Substanzen („LSD“), bereiste Orte („Italy“) und verspeiste Snacks („Oreos“) aufzählt, werden Orientierungslosigkeit und Verzweiflung an der Banalität gesicherter Existenzen spürbar: „Suicideyear/Sad Boys“. In ihren großartigsten Momenten fühlt sich diese Musik an wie der müde Versuch, das Herunterkommen von einem High mit noch mehr Drogen aufzuhalten, wobei sich die Erkenntnis einstellt, dass auch das nichts mehr bewirkt.