Bob Dylans „Theme Time Radio Hour“ : Der Meister der blauen Stunde
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Mehr als hundert Radiosendungen hat Bob Dylan moderiert. Er spielte kein einziges eigenes Lied Bild: dapd
Wie das Betreten einer alten und zugleich völlig neuen Welt: Drei Jahre lang moderierte Bob Dylan seine „Theme Time Radio Hour“, im Netz kann man sie noch heute hören. Sie ist Kunstwerk und Musikenzyklopädie zugleich.
„Es ist Nacht in der großen Stadt. Eine Frau geht barfuß, ihre High Heels in der Handtasche.“ Wenn Ellen Barkin diese Worte auf Englisch spricht, mit monotoner, rauchiger Stimme, klingen sie unvergleichlich einsam. Sie schmiegen sich an ein Saxophon oder klammern sich an einen rastlosen Jazz-Groove, der an die hohe Zeit der Beatlyrik erinnert. Nur noch Nachtfalken sind unterwegs. „It's theme time radio hour with your host Bob Dylan.“
Mitten in diese stets leicht variierte, aber immer nächtlich schwermütige Eröffnungsszene platzt die schnarrende Stimme des Schelms: Man ist glücklich über diese Brechung, glücklich, dass jemand so näseln kann wie Bob Dylan und damit die Unerträglichkeit der blauen Stunde lindert. Wenn er dann eine weitere Folge „dreams, themes and schemes“ verspricht, ist man schon mittendrin in der Zeitmaschine: Denn „Theme Time Radio Hour“ ist eine Hommage an die frühen, großen Tage des Radios, in der Machart wie auch in der Musikauswahl. Es geht um Uramerikanisches wie Baseball, Bibel oder schlicht „Hair“, und jedes dazu ausgesuchte Stück wird mit einer Einleitung versehen, in der Dylan Hintergründe und Anekdoten zu den ausgewählten Künstlern und Stücken erzählt.
Hierzulande nahezu unbekannt
Wer nicht zufällig firm in der Folk-, Blues- und frühen Popmusik der vierziger und fünfziger Jahre ist, der wird das meiste, was der Meister da auflegt, noch nie gehört haben. Vor allem deshalb ist diese Radiosendung wie das Betreten einer alten und zugleich völlig neuen Welt - der Welt solch vergessener Künstler wie A. A. Gray and Seven Foot Dilly bis zu Zeke Manners and His Swingbillies. Schon die Ansage der Namen und Titel ist manchmal erheiternd, wenn sie so ausgefallen sind wie das Stück „Bald Head“ (Glatzkopf) von Professor Longhair aus dem Jahr 1950. Ganz tabu sind Titel neueren Datums nicht, wenn sie ins Konzept passen: So findet sich, zum Beispiel, in der sehr empfehlenswerten Folge über „Coffee“ neben wunderbaren Beiträgen von den Ink Spots („Java Jive“) und Otis Redding („Cigarettes and Coffee“) auch das Stück „Coffee and TV“ der englischen Gruppe Blur aus den neunziger Jahren.
Mehr als hundert Sendungen dieser Art hat Dylan von 2006 bis 2009 für den Satelliten- und Internetradiosender Sirius XM moderiert, die man dort auch heute noch als Abonnent hören kann - das ergibt bei durchschnittlich etwa fünfzehn Stücken pro Folge eine fast schon enzyklopädische Fülle. Dementsprechend viel lernt man beim Hören, sei es über die Musikszene von Nashville oder New York, über den „Bakersfield Sound“ oder jamaikanische Folksänger.
Dass man hierzulande davon bislang kaum etwas mitbekommen hat, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Sendungen nie als Tonträger vermarktet wurden - einzig einige Kompilationen mit bestimmten Liedern sind zu haben, jedoch ohne die Moderation Bob Dylans, was man geradezu als Witz bezeichnen kann, weil damit das Wichtigste fehlt.
Das Radio war König
„Theme Time“ ist aber nicht nur eine umfassende Musikgeschichte, sondern auch eine der Literatur, Technik und Wirtschaft, alles gespiegelt im Lied: Natürlich gibt es da eine Folge über „Cars“, „Telephone“ oder „Mail“, sogar eine Doppelfolge zum Thema „Trains“, einem besonders für die Folkmusik mit ihren Tramps und Hobos dankbaren Thema. Außergewöhnlich werden die Sendungen durch den Eklektizismus der Liedauswahl, der ein ums andere Mal eine umsichtige Recherche in den Tiefen der Musikarchive verrät: So liefert eine Folge zum Thema New York gerade nicht nur das Erwartbare, also hier nicht Frank Sinatra, sondern etwa eine seltene Akustikversion von Bobby Womacks „Accross 110th Street“ oder einen Tonausschnitt aus einem der schönsten New-York-Filme überhaupt, „Midnight Cowboy“ von John Schlesinger, dazu ein Lied des Sängers Harry Nilsson, allerdings nicht, wie wiederum zu erwarten wäre, das Stück „Everybody's talkin'“, sondern „I Guess the Lord Must Be in New York City“, das damals auch erfolgreich war, heute aber vergessen ist. Nicht nur für den Sammler sind das Momente reinen Glücks. Wenn man mit Nick Hornby bedenkt, wie schwierig es ist, das perfekte Mixtape für einen bestimmten Zweck zu erstellen, dann ist jede einzelne Folge von „Theme Time Radio Hour“ ein Volltreffer.