Album der Woche : Seit du weg bist, geht’s mir besser
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Hörprobe: „Blackout States“ Bild: Michael Monroe
Der Goethe des Glam- und Sleazerock ist wieder da: Michael Monroe, ehemals Sänger der Band Hanoi Rocks, spuckt auf seinem Soloalbum „Blackout States“ Poesie vom Gemeinsten.
Das euphorische Trennungslied ist eine seltene Songsorte. Aus herztötendem Gift und emotionalem Mürbeteig Konfekt backen, das können nur die Allergrößten: „I will survive“ von Gloria Gaynor kennt die ganze Welt, „Ain’t My Crime“ von Motörhead sollte viel bekannter sein, als es ist („You nearly had me fooled, wasting all my time“), Paul Simons „50 Ways to Leave Your Lover“ macht noch dem häuslichsten Gemüt Lust zum Aufbruch („Just slip out the back, Jack“) und den weitesten ethisch-erotisch-philosophischen Horizont zum Thema haben die unvergleichlichen Hüsker Dü freigesprengt, als Gebrüll auf „You Can Live at Home Now“: „I can be fine and I can be free / I can be beautiful without you torturing me“.

Redakteur im Feuilleton.
Dass der Verlust der Liebe, auch die zornige Abkehr von ihr, ja: ihre entschiedene Verfluchung sich in großer Pop- und Rockmusik oft genug als uneingeschränkt kunstgeeignet erwiesen haben, darf man solchen Regungen also zugestehen - aber soll man dabei so lustig mit den Augen rollen und so fröhlich aus dem Schnapshals krähen wie Michael Monroe, der im Eröffnungssong seiner neuen Platte „Blackout States“ das überschäumende Glück seiner rattenhaften Lieblosigkeit kaum fassen kann? „I’d rather be lonely, I’m happier being apart, there’s nothing between us and I’m singing from the heart“, gehört sich so was?
Der Mann, der diese zutiefst konterromantischen Zeilen eher lacht als singt, ist dreiundfünfzig Jahre alt, sieht immer mehr aus wie das verlebte Zwitterkind von Klaus Kinski und Hildegard Knef, kann Saxophon und auf Zuruf verrückt spielen und hätte um 1990 eigentlich ein Weltstar sein müssen - wer nicht wenigstens die beiden Alben „Back to Mystery City“ (1983) und „Two Steps from the Move“ (1984) der Band Hanoi Rocks, mit der Michael Monroes unebene Laufbahn ihren ersten Höhepunkt erreichte, im Regal, auf dem iPod oder am besten gleich als Brandmuster in der Großhirnrinde abrufbar bereithält, sollte anständigerweise auch keins der Erzeugnisse der Nachmacher Guns N’ Roses oder Poison besitzen.
Mister Monroe ist als Finne geboren, in London erwachsen geworden, singt aber auf Gossenamerikanisch, und zwar reinste Weltliteratur: „One day you’re gonna get your night in the sun“, also das wäre Jim Morrison auch nach drei Tagen Nutella-Infusion nicht eingefallen.
Oder wie wäre es damit: „Wenn einer mir ins Auge sieht, / Werd’ ich ihm mit der Faust gleich in die Fresse fahren, / Und eine Memme, wenn sie flieht, / Faß ich bei ihren letzten Haaren.“ Was? Das sei doch gar nicht von Michael Monroe, sondern von Goethe? Einerseits ja - aber Karl Kraus hatte eben auch recht, als er schrieb, die Übersetzung wirklicher Weltliteratur dürfe niemals wörtlich, sondern müsse immer freie Nachdichtung sein, und deshalb findet sich die schönste Harmonie der Misstöne halt doch just zwischen den zitierten Goethe-Versen und dem kranken Kopf des Herrn Monroe, nämlich im Song „R.L.F.“ auf „Blackout States“: „I got long term goals and short term needs / gonna keep on bitin’ on the hand that feeds / And we still rock like fuck! Rock like fuck! / Fuck shit up and rock like fuck.“
Diese Sorte Dichtung verstehen ja selbst Leserbriefschreiber und Netzforumsbeiträger, die sich bei Rock- oder Filmkritiken neuerdings wieder über eine „Verenglischung“ (als ob das ein deutsches Wort wäre) der Rezensentensprache beschweren, als hätte jemals jemand Einwände gegen die „Veritalienischung“ der Opernkritik gehabt; als hätte gerade Deutschland keine gravierenderen Probleme, die man etwa mit einem Begriff bezeichnen könnte, den Wolfgang Pohrt schon kurz nach dem Ende der DDR warnend in die Debatte warf: Vermecklenburgvorpommerung.
Nie zu spät für Dekadenz
Michael Monroe hat seine Apotheose verpasst: Als die Hanoi Rocks schon überall kopiert wurden, aber zugleich immer noch Geheimtipps waren, setzte sich ihr Drummer Razzle in ein Auto, das Vince Neil von Mötley Crüe in einen Unfall steuerte. Razzle starb und hinterließ eine Band, die darüber zerfiel. Daran hat Michael Monroe wohl heute noch zu knabbern - viele seiner Songs handeln von den „good old bad days“-, aber besiegt oder entkernt hat ihn der Schlag nicht, so wenig wie das durchaus ernste Problem, dass er seine Grundhaltung einer Szene verdankt, die wie die meisten Rock-’n’-Roll-Früchtchen das Älterwerden mit dem Verfaulen gleichsetzte und da gar nicht hinwollte. Andere Überlebende in vergleichbarer Lage entdecken auf ihre alten Tage den Reiz der Wehmut (die beiden überwältigend, ja heilsbringend schmalzigen Nummern „Rough Boy“ und „Crying in the Rain“ auf der aktuellen Coverversionen-Platte „Skeletons“ des ewigen Wutwichtels Glenn Danzig sind das derzeit schönste Beispiel hierfür), aber Monroe muss die Bitterkeit des Alters nicht fürchten, denn er war schon als Jungspund ebenso bitter wie salzig und süß („Yeah, I talk so bad and I look so mean / On the Boulevard of Broken Dreams“ heißt es bereits auf „Two Steps from the Move“).
Ob das, was er und seine männlichen Mitschlampen (der Schlagzeuger heißt himmlischerweise „Karl Rockfist“, es darf nicht wahr sein!) heute anrichten, ins Jahr 2015 passt, scheint Monroe so egal zu sein wie die Meinung der Medien („The papers and the magazines, they don’t let a story get ruined by truth.“), selten lärmt er länger als fünf Minuten am Stück (wir sind hier nicht in der Alten Oper, Eierkopf!), aber die Moral des Ganzen könnte tatsächlich kaum zeitgemäßer sein: Es ist nie zu spät für Dekadenz.