CD der Woche: Eminem : Darauf eine Abwrackprämie
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Hörprobe: „We Made You“ Bild: Interscope
Fünf Jahre nach seiner letzten Platte taucht Eminem wieder aus Entzug und Versenkung auf. Mit dem uninspirierten „Relapse“ wird der erfolgreichste Rapper aller Zeiten aber höchstens noch die Erzkonservativen provozieren können.
Im Prinzip teilen die amerikanische Hip-Hop- und die Automobilindustrie das gleiche Schicksal: Beide stellen ideenlose Produkte her, die längst niemand mehr so richtig haben will. Lange Zeit galten die Videos der Gangsta-Rapper als Werbeclips für Luxuskarossen aller Art. Der großspurige Lebensstil in den hochglänzenden Bildern entspricht jedoch schon lange nicht mehr der ökonomischen Wirklichkeit. Mit den Verkaufseinbrüchen der Musikbranche hatten die düsteren Gesellen aus den afroamerikanischen Ghettos am meisten zu kämpfen. Gelangweilt von der ewig hedonistisch-machohaften Rhetorik, wandte sich ihre zahlungskräftige Käuferschicht, die weißen, männlichen Jugendlichen aus den Vororten, in Scharen von ihnen ab.
Auch die neue Platte von Eminem lässt sich vom ästhetischen Standpunkt her mit einem Wagen von General Motors aus Detroit vergleichen, der Metropole am St. Clair-See, der der sechsunddreißigjährige Rapper und Produzent entstammt. Das Material auf „Relapse“ klingt jedenfalls ähnlich unzeitgemäß wie ein benzinfressender Schlitten aus dem Programm des angezählten Konzerns. Ob und wie sich die sechste Platte des erfolgreichsten Rappers aller Zeiten verkaufen wird, steht indes auf einem anderen Blatt.
Entzugsplatte und Comebackalbum
Beinahe fünf Jahre liegt die Veröffentlichung von Eminems letztem Werk „Encore“ zurück. In der Zwischenzeit hatte Marshall Bruce Mathers, wie er mit bürgerlichen Namen heißt, mit starken Suchtproblemen zu kämpfen, die seine Kreativität offenbar hemmten. Der gewaltsame Tod seines Freundes, des Rappers DeShaun „Proof“ Holton, im April 2006 trieb Mathers in Depressionen und in eine zunehmende Medikamentenabhängigkeit. Erst durch einen Entzug bekam er sein Leben wieder in den Griff.
Da Eminem in seinen Stücken biographische und fiktive Ereignisse stets untrennbar miteinander vermischt, verwundert es nicht, wenn er jetzt auch diesen Lebensabschnitt verarbeitet. Entsprechend ist „Relapse“ (Rückfall), Entzugsplatte und Comebackalbum in einem. Schon das Cover spielt auf die jüngste Vergangenheit von Mathers an: Farbig angeordnete Pillen bilden das Gesicht des Rappers. Eine Verschreibungsangabe regelt die genaue Dosierung. Fünfzehn Stücke wurden ausgesucht, eine Fortsetzung „Relapse 2“ soll folgen.
Uninspiriert und gestrig
Da Eminem seinen Durchbruch im wesentlichen Dr. Dre zu verdanken hat, klingt die erneute Kollaboration der beiden zunächst wie ein Glücksfall. Jetzt macht sich jedoch schnell Katerstimmung breit. Die Songs wirken so einförmig, dass man ernsthaft an Dr. Dres eigentlich doch so feinem Gehör zweifeln muss: Die Geschwindigkeit verharrt im mittleren Tempo, das Schlagzeug stampft pompös vor sich hin, Melodiefetzen stehen haltlos im Raum, und wenn nichts mehr hilft, dramatisieren Streicher die Sache unnötig. Das Gespür für Coolness und runde, packende Grooves, das frühere Titel wie „My Name Is“ oder „Guilty Conscience“ ausmacht, fehlt völlig. Für derart uninspirierte Beats bekommt man heutzutage nicht einmal eine Abwrackprämie.
Auch textlich hapert es. Die Herleitung seiner Drogensucht aus dem Fehlverhalten seiner Mutter kommt etwa in „My Mom“ als arg deterministische Entschuldigung daher. „Must Be the Ganja“ klingt wie ein Party-Song von jemanden, der behauptet, er könne auch ohne Alkohol und andere Hilfsmittel lustig sein. Doch natürlich wäre Eminem nicht Eminem, wenn Scharfzüngigkeit und Streitlust fehlen würden. Allerdings scheint Mathers auch hier seine Ziele aus den Augen verloren zu haben und nimmt Pop-Stars und Sternchen wie Jessica Simpson und Amy Winehouse auf die Schippe, für die sich sowieso keiner (mehr) interessiert. Und wen kümmert es, dass sich Eminem Monate nach der Wahl noch über Sarah Palin lustig macht? Erschreckender ist deshalb, dass konservative Kreise derart abgeschmackte Provokationen immer noch ernst nehmen und gegen Mathers wettern. Es muss eine Hassliebe von beiden Seiten sein.
Einkalkulierte Vorwürfe
Dabei ist Eminem durchaus clever, denn er kalkuliert wie bei seinen vorangegangenen Alben die Vorwürfe an seine Stücke direkt mit ein. Kaum denkt man beim ersten Hören, dass die Geschichte von dem sexuellen Missbrauch durch den Stiefvater in „Insane“ etwas zu dick aufgetragen oder die Verballhornung des verstorbenen Superman-Darstellers Christopher Reeve in „Medicine Ball“ so grund- wie pietätlos ist, da wird der Zwischenkommentar von Eminems Manager Paul Rosenberg eingespielt, der auf dem Anrufbeantworter seine kritische Meinung zu dem Album hinterlässt und genaue diese Punkte bemängelt. So recht zünden die Ideen nicht. Ein echter Rückfall ist Eminem allerdings nur in musikalischer Hinsicht zu Wünschen.