Britney Spears’ Album „Glory“ : Das Zirkuspony trägt Korsett
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Ein Stehaufmädchen? Britney Spears auf der Bühne der MTV Video Music Awards am Sonntagabend in New York Bild: Reuters
Manche Dinge ändern sich nie: Die am Ende doch unverwüstliche Britney Spears zieht auf ihrem neuen Album „Glory“ alle Register.
Drei Konservierungsmethoden gelten als unkompliziert und für jedermann anwendbar: einkochen, einlegen und trocknen. Was genau davon mit Britney Spears geschehen ist, weiß man nicht. Aber aus irgendeinem Grund sieht sie heute mit vierunddreißig Jahren immer noch (oder inzwischen wieder) genau so aus wie 1999, im Video zu „Baby One More Time“. Sie zieht sich nicht mehr an wie ein Schulmädchen, strahlt aber dieselbe sterile Erotik aus. Eine solche Konstanz in der Erscheinung wahrt sonst nur Cher.
Da hören die Unterschiede allerdings schon auf. Cher nämlich kann singen, Britney Spears quetscht eher Töne aus sich heraus, hat es in dieser Disziplin aber zur Meisterschaft gebracht. Das lässt sich aktuell auf „Glory“ (RCA/Sony) bestaunen, ihrem neunten Studioalbum. Ein neues Album, wo doch die letzten weitgehend ungehört verhallt sind, muss das sein? Einen Versuch ist es wert – man kann schließlich nicht immer nur ihren besten Song anhören, „Toxic“ von 2003, aus der Phase ihrer Emanzipation.
Diese Zeit liegt lange zurück, es wäre sogar eine zweite Emanzipation fällig. Denn Spears steht seit neun Jahren unter der Vormundschaft ihres Vaters, was sie ihrem öffentlichkeitswirksamen Nervenzusammenbruch mit kahlrasiertem Schädel verdankt. Ihr Leben ist durch und durch kontrolliert und optimiert: Spears lebt mit ihren beiden Söhnen in Los Angeles, tritt dreimal die Woche in Las Vegas auf und verdient damit 35 Millionen Euro pro Jahr. Sie darf keine größeren persönlichen oder finanziellen Entscheidungen treffen ohne das Plazet ihres Vaters. Und genau so kontrolliert und optimiert klingt ihr neues Album.
Hochqualifizierte Unterstützung suchte sich die Sängerin dafür: den Hip-Hop-Produzenten DJ Mustard sowie die Songwriter Ian Kirkpatrick, Chantal Kreviazuk, Simon Wilcox und Matt Burns. Dass es eine ausgezeichnete Idee ist, Spears nicht allein ans Songwriting zu lassen, zeigte sich erst in der vergangenen Woche bei der amerikanischen Show „Carpool Karaoke“. „Worum geht es eigentlich bei deinem Song ,Oops! . . . I Did It Again‘?“, fragte Moderator James Corden. „Ich weiß nicht“, antwortete Spears ernst. „Ich denke, es ist einfach nur ein Lied.“ Solche Fragen scheinen auf „Glory“ bei „Do You Wanna Come Over“ ausgeräumt („Whatever you need/I’ll do it“), aber vielleicht geht es auch da nur um die Zubereitung von Häppchen für einen gemeinsamen Fernsehabend.
Der künstlerische Wille ist es jedenfalls nicht, der Spears wieder ins Studio getrieben hat. Das Geld kann es auch nicht sein. Aber Spears ist einfach ein altes Zirkuspony, das schon immer gesungen und getanzt hat und keinen Grund sieht, damit aufzuhören. Da sie dabei alles richtig machen möchte, zieht das Album sämtliche Register von Tanzgestampfe über Elektrogeflirr, hier ein bisschen Reggae-Rhythmus und dort ein Intro mit Akustikgitarre und dann halt noch ein Lied auf Französisch. Das wirkt so fürchterlich überladen, kalkuliert und in ein Korsett geschnürt, wie Musik niemals klingen sollte.
Zwei Lieder stechen heraus, weil Spears da ganz anders klingt als sonst: Bei „Private Show“ hat sie überraschenderweise plötzlich so etwas wie Soul in der Stimme. Und in „What You Need“ klingt sie ebenfalls weniger quietschgepresst als üblich - dafür gewinnt sie die fordernde Nervigkeit einer Cyndi Lauper. Trotzdem ist der Song mit seiner coolen, reduzierten Instrumentierung eine positive Überraschung auf dem Album. Der Rest geht schon irgendwie, zum Tanzen – aber wirklich nur in Tropennächten, in denen Blut und Hirnwasser eh schon kochen.