Album der Woche : Der große Wurf der Kleingeldprinzessin
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Der Bandsound steht auch Folksongs gut: Dota Bild: Annika Weinthal
Wenn sich jahrelange Arbeit auszahlt: „Dota“ ist jetzt eine Band und ihr Album „Keine Gefahr“ vereint Liedermachertum mit Elektro-Grooves auf wunderbare Weise.
Warum gibt es in Zeiten des Internet eigentlich immer noch eine so spürbare Unterscheidung von Mainstream- und Independent-Kultur? Ein Grund dafür könnte sein, dass bestimmte Figuren es schaffen, mit den von ihren PR-Profis lancierten „Nachrichten“ ständig in der Berichterstattung aufzutauchen: Weil sie irgendeinen Käse getwittert haben, weil sie irgendeinen Käse verkaufen oder sich anderweitig entblößt haben.
So entsteht ein medialer Teufelskreis: Jeder kennt irgendwann zwangsläufig diese Figuren, und damit kann man wieder Leserinteresse an ihnen rechtfertigen. Wenn man, gerade im Musikgeschäft, dies alles ablehnt, ist es nicht leicht, trotzdem wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Die Sängerin Dota Kehr hatte den großen wirtschaftlichen Erfolg wohl nie im Blick – nicht von ungefähr nannte sie sich die 1979 Geborene, die als Straßenmusikerin begann, lange „Kleingeldprinzessin“. Und so nannte sie auch ihr selbstgegründetes Musiklabel, auf dem sie bis heute veröffentlicht und jüngst das Angebot eines Großkonzerns ausgeschlagen hat.
Die studierte Medizinerin hat öfter gesagt, dass sie schon glücklich darüber wäre, einfach von der Musik leben zu können. Aber nach unablässigem Touren durch autonome Zentren, kleine und immer größer werdende Clubs, nach sechs Alben, diversen Kollaborationen und Live-Mitschnitten ist langsam, aber sicher auch ihr Bekanntheitsgrad größer geworden – und das neue Album „Keine Gefahr“ stieg sogar kurzfristig auf Platz 14 der Albumcharts ein.
Den Erfolg gönnen kann man ja auch allen Käseverkäufern. Aber darüber hinaus freuen darf man sich immer dann, wenn der Erfolg allein mit der Musik erreicht wurde. Und wenn gute Musik eine größere Zuhörerschaft findet – gerade, wenn es sich um deutschsprachige Songs handelt, bei denen der Mainstream, nach früher besseren Zeiten, inzwischen von grauenhaftem Kitsch dominiert wird, stark befördert durch gewisse Fernsehformate. Da ist es schon eine gewisse Pointe, wenn nun Dota im „Morgenmagazin“ zu Gast ist und dort den Song „Vergiftet“ spielt.
Folk mit Groove
Nun also zu ihrer Musik: Bei Dota besonders interessant ist die Entwicklung von Liedermacher-Stücken, die sie am Anfang noch ganz allein zur Gitarre sang, hin zu einem immer ausgefeilteren Bandsound, der auf dem neuen Album nochmal einen riesigen Schritt nach vorne gemacht hat.
Dass das Keyboard vom 2013 neu zu ihrer Band gekommenen Jonas Hauer zunehmend wichtig wird, merkte man schon auf den letzten Touren – nun prägt es Studioaufnahmen wie „Vergiftet“ ganz maßgeblich. Die früher mehr zwischen Folk-Picking und Bossa Nova situierten Arrangements (gegen die auch gar nichts einzuwenden ist!) weichen hier einem verspielten Experiment mit Clubsounds und Elektro-Grooves, die im Musikvideo einige Bürohengste vom Hocker reißen und zu wilden Tanzeinlagen zwingen.
Das Eröffnungsstück „Mantel“ hingegen mausert sich von einem vorsichtig tastenden Einstieg zu derben Ausbrüchen von verzerrter Gitarre und Schlagzeug: Hier merkt man, dass die Band auch geradezu darauf gewartet hat, mal richtig zu rocken. Es gelingt sehr eindrucksvoll, während Dotas Liedlyrik eine seltsame Walpurgisnacht heraufbeschwört: „Mit nackten Brüsten tanzen da die Hexen um das Feuer / Und trinken dabei große Mengen Sternburger Pils“ – da trifft Berliner Indie-Bohème auf Schauerromantik. In dem gar nicht leicht zu deutenden Song geht es offenbar um Aussteigertum und Wahnsinn: „Du hast ihnen Angst gemacht und sie gucken verstört / Komm ich versteck‘ Dich im Mantel und geb‘ acht, dass Dich bloß keiner hört“.
So kryptisch dichtet Dota bei weitem nicht immer. Ab und zu ringt sie sich durch zum klaren Appell, der hier in dem Lied „Grenzen“ ertönt: „Nennt mich naiv, es ist mir egal, aber ich finde, es reicht: Ich suche das Land, in dem jeder dem anderen in Staatsunangehörigkeit gleicht.“ Der letzte Satz klingt fast ein bisschen nach Reinhard Mey, aber das ist ja auch in Ordnung, denn wo, wenn nicht im Folksong, sollten Utopien Platz haben?
Davon, dass man eigentlich gar keine Lieder mehr schreiben kann, weil jemand namens Funny schon alle geschrieben hat, handelt dann „Spiegel der Zeit“. Das mag ja eine freundliche Verbeugung vor dem Liedermacher Funny van Dannen sein, aber es wäre durchaus zu begrüßen, wenn auch Dota noch weiter Lieder schriebe und so anrührend singen könnte wie in dem zerbrechlichen Titelstück „Keine Gefahr“: Da steigert sich der „immer der gleiche pulsierende Schmerz“ dann wiederum in einen Trance-Groove, der ihn lindert oder zumindest für eine Weile vergessen lässt. Es wäre zu wünschen, das noch viel mehr Leute das hören.