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Polt ist zurück : Vom Leben und Sterbenlassen

Die aktuelle Produktpalette muss sitzen: Gerhard Polt als Bestattungsunternehmer in „A scheene Leich“. Bild: Maurice Korbel

Lange erwartetes Comeback: An den Münchner Kammerspielen feiern Gerhard Polt und die Well Brüder „A scheene Leich“, eine Komödie über unseren Umgang mit dem Tod.

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          Bald vierzig Jahre ist es her, dass Dieter Hildebrandt und Gerhard Polt der Münchner Schickeria mit einer kabarettistischen Nummernrevue den Marsch bliesen. „München leuchtet“ bescherte den Kammerspielen einen Riesenerfolg. Es folgten „Die Exoten“, auf der anderen Straßen­seite am Bayerischen Staatsschauspiel, mit Hanns Christian Müller. Dann mit der Biermösl Blosn „Tschurangrati“ (1993), „Obatzt Is“ (2005), „Offener Vollzug“ (2006) und „Ekzem Homo“ (2015). Nun tritt Polt mit den Well-Brüdern (einem Teil der früheren Biermösl Blosn) wieder auf die Bühne der Kammerspiele, und das Publikum, überwiegend reifere Semester, wirkt wie von fiebriger Vorfreude ergriffen auf ein Familientreffen.

          Hannes Hintermeier
          Feuilleton-Korrespondent für Bayern und Österreich.

          Der achtzigjährige Polt und die Wells sind in gewohnter Spiellaune, ihre Fans kennen die Lieder – unter anderem von der CD „A scheene Leich“ –, und manch eine singt leise mit. Die „scheene Leich“ ist im Süddeutschen die Umschreibung für eine gelungene Beerdigung, bei der hinterher gelacht, geweint, musiziert, gegessen, getrunken und manchmal sogar gerauft wird, um den Schrecken des Todes für ein paar Stunden abzuschütteln. Dass ein Stück über einen Pflegeskandal nicht nur Schenkelklopfer produzieren kann, versteht sich. Der Umgang unserer Gesellschaft mit dem Thema Tod ist bestenfalls jämmerlich.

          Ganz wia im richtigen Leben. Als Ausgangspunkt dient Polt und seinem Regisseur Ruedi Häusermann ein Verbrechen in einem Altenheim in Schliersee, das vor zwei Jahren von Journalisten aufgedeckt wurde. Die Behörden hatten weggesehen, für einige der verwahrlosten und unterernährten Bewohner einer „Seniorenresidenz“ war es zu spät, Todesfälle der makabersten Art. Die Direttissima vom Heim ins Grab als Geschäftsmodell. Polt lebt um die Ecke.

          Der Andachtsjodler als Leitmotiv

          Nun spielt er den Bestattungsunternehmer Pius Brenner, Gründer der Pietas Ruhe GmbH, und erinnert sich mit Glatze und wächsernem Teint an die tatsächlich stattgefunden habenden Besuche des sechsjährigen Gerhard Polt im Leichenschauhaus zu Altötting, wo er sich die Aufgebahrten besah. „Das Maul weit geöffnet, in absoluter Tranquilität“ fliegt einem Leichnam eine grüne Fleischfliege in die Mundhöhle – „bzzzzz“, ein unvergessliches Erlebnis, das Brenners Lebensweg als Nekro-Ökonom und Old-Age-Manager vorgezeichnet habe.

          „Carpe diem, liabe Leit, die letzte Maß steht schon bereit“ – die Well-Brüder sorgen als versierte Multiinstrumentalisten und Sänger für die musikalische Verankerung im Brauchtum. Sie wuchsen als „Gebrauchsmusiker“ auf, die schon als Kinder bei jeder Beerdigung im Dorf spielten. Karli, Michael und Stofferl, zwölftes, dreizehntes und vierzehntes von fünfzehn Kindern der Lehrerfamilie Well, schöpfen aus einem in Jahrzehnten gewachsenen Repertoire. Der Andachtsjodler taucht als musikalisches Leitmotiv in allen möglichen Versionen auf.

          Ein zwölfköpfiger Laienchor probt für die Beerdigung Brenners, aber das klappt nicht so gut. Der Chor ist auch als Blas­kapelle und als Kulissenschieber im Einsatz, und er spielt die Belegschaft der Pietas Ruhe GmbH, in grauen Arbeitsmänteln. Sehr witzig die „Stuhlrutsch“-Nummer, das Geräusch der Stühle, die über die Bühne geschoben werden, wächst sich zu einem tibetischen Om-Brummen aus. Eine firmeninterne Fortbildung mit Urnenschautafel, die Polt als Nachfolger Brenners und Zuchtmeister des Nachwuchses leitet, gipfelt in der Verleihung des „Silbernen Sargnagels in Bronze“ an eine Mitarbeiterin, die einen mehr als siebzigtausend Euro teuren Marmorsarg nach Liechtenstein verkauft hat.

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