Politische Strategie : Die Linke ist da!
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Nein. Die Rechten sind nur sichtbarer. Die machen sich sichtbar durch brennende Flüchtlingsheime, durch Rechtsterrorismus – der übrigens endlich so genannt werden müsste. Sie machen sich sichtbar durch die Besetzung der Straßen mit Pegida und mit ihrem Wahlprojekt, der AfD. Sie haben ihre Formel gefunden: Grenzen dicht, raus aus der EU. Die Linke zeigt sich nur langsam, aber sie ist da. Es finden täglich Veranstaltungen zu der Frage statt, wie wir eine offene Gesellschaft bewahren können. Während Pegida dumpf die Leute zusammenballt, ist die linke Seite viel zurückhaltender, fragender, aber die Leute kommen, und es sind immer mehr. Es geht nun darum, diesem dissidenten linken Drittel eine politische Stimme zu verleihen.
Sie meinen wirklich, ein Drittel der Bevölkerung sei so links, wie Sie es gerade erklärt haben? Die wohlhabende Grünen-Wählerin in Baden-Württemberg mag Flüchtlingen geholfen haben und einen Rechtsruck fürchten, doch warum sollte die sich für die Abschaffung des Kapitalismus’ interessieren?
Erstens geht es nicht darum, den Kapitalismus schon übermorgen zu überwinden, und zweitens: Auch wohlhabende Menschen werden in unseren Zeiten kapitalismuskritisch. Eine Zweiteilung in diejenigen, die nichts haben als ihre Arbeitskraft, und diejenigen, die Gewinn machen, ist objektiv zwar richtig, subjektiv und politisch aber nichtssagend. Heute umgreift der Klassencharakter ganz unterschiedliche Positionen, von den wirklich Abgehängten bis hin zu den gut Gebildeten, die trotzdem in hochgradig prekäre Lebenssituationen geraten können, bis hin zu denen, die persönlich gar kein Problem haben, weil sie schon älter sind, aber die prekären Verhältnisse ihrer Kinder sehen. Je nach der eigenen Generation, nach dem eigenen Geschlecht und je nachdem, ob man aus einer deutschen Familie kommt oder aus einer migrantischen, je nachdem, wie viel Raum man dem Wissen um die ökologische Krise einräumt, drückt sich die Erfahrung von Prekarität anders aus. Die Aufgabe besteht darin, diese Erfahrungen zusammenzuführen, trotz der internen Widersprüche und Konflikte. Das ist viel schwieriger als früher, wo man noch von einer homogenen Erfahrung der Proletarier ausgehen konnte.
Diese Proletarier gibt es aber ja auch noch, und in deren Vernachlässigung sehen viele Linke den Grund für das Erstarken rechter Parteien. Zeugt Ihre Perspektive nicht genau von jener Klassenvergessenheit, die alle Eribon-Leser nun kritisieren?
Traditionell verstandene Klassenpolitik ist ein nostalgisches Unternehmen. Oft führt das dazu, andere Herrschaftsverhältnisse hinten anzustellen, Geschlechterfragen oder Fragen nach Asyl oder nach der Ökologie. Die Klassengesellschaft ist natürlich nicht überwunden, doch Klassenvergessenheit ist wirklich nicht unser größtes Problem.
Wo liegt Ihrer Meinung nach der Grund für den so genannten Rechtsruck?