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Gina Thomas (G.T.)

Roald Dahl : Alle Schattenseiten geschönt

  • -Aktualisiert am

Roald Dahls Matilda liebt das Lesen. Dass sie von einigen Autoren die Finger lassen soll, wird man ihr nur schwer erklären können. Bild: RDSC/QB 2022

Seine Ansichten waren oft abscheulich, seine Bücher wurden von Generationen geliebt: Jetzt werden Roald Dahls Bücher von anstößigen Ausdrücken gesäubert.

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          Um Roald Dahl ist es seit seinem Tod vor mehr als dreißig Jahren nie still geworden. Die Marke Dahl beschert den Eignern jedes Jahr Millionengewinne durch Neuauflagen oder Verfilmungen. Darüber hinaus sorgen Dahls Ansichten immer wieder für Zündstoff. Sein unverblümter Antisemitismus veranlasste die Nachkommen vor einigen Jahren, sich für „den anhaltenden und verständlichen Schmerz“ zu entschuldigen, den seine Bemerkungen hervorriefen. Diese seien unverständlich und stünden in scharfem Kontrast zu dem Mann, den die Familie gekannt habe, und zu den Werten im Zentrum seiner Geschichten, die Generationen junger Menschen positiv beeinflusst hätten.

          Nach Ansicht seiner Verleger verstößt Dahl jedoch in seinen Kinderbüchern so sehr gegen das Empfinden heutiger Leser, dass nun die Texte durchgekämmt und im Sinne der zeitgeistlichen Korrektheit entgiftet und abgeschwächt werden, um zarte Seelen vor schockierenden Begriffen und Vorstellungen zu bewahren. Bei dieser Arbeit schaut den Lektoren eine Organisation mit dem Orwell’schen Namen „Inclusive Minds“ über die Schulter, die sich als „Kollektiv für Menschen mit einer Leidenschaft für Inklusivität und Zugänglichkeit in der Kinderliteratur“ bezeichnet.

          Die wahnsinnige Welt der Erwachsenen

          Der Erfolg von Dahls makabren Geschichten beruht nicht zuletzt darauf, dass er Kinder in eine phantastische Welt transportiert, die noch wahnsinniger ist als die Erwachsenenwelt ihres Alltags, auf die sie sich keinen Reim machen können. Seine grotesken und grausamen Beschreibungen sind Bestandteil seiner Fabulierkunst, deren Schärfe jetzt neutralisiert wird.

          Dahl sträubte sich zu Lebzeiten gegen abschwächende redaktionelle Eingriffe. Inzwischen dürfen Figuren vor Schreck nicht mehr „so weiß wie ein Bettlaken“ werden. Stattdessen erstarren sie wie eine Statue. Dem freundlichen Riesen wird der schwarze Mantel entzogen. Auch schwarze Maschinen sind wie Diskriminierungen gegen Tiere, darunter die zurückgebliebenen Schildkröten in „Ottos Geheimnis“, die jetzt weder aus Afrika kommen noch zurückgeblieben sind, verboten.

          Beförderungswelle im Kinderbuch

          Jeder Hinweis auf Übergewicht ist ein Tabu. Augustus Gier, der in der englischen Fassung von „Charlie und die Schokoladenfa­brik“ enorm fett ist, ist jetzt nur noch enorm. Aus den riesigen Fettwülsten sind Wülste geworden, sein Gesicht ähnelt nicht mehr einem „monströsen Klumpen“, sondern bloß einem Klumpen. In „Hexen hexen“ sind Kassiererinnen und Stenotypistinnen zu Spitzennaturwissenschaftlerinnen und Geschäftsführerinnen befördert worden.

          Aus der Passage, in der Dahl die Macht der Bücher beschreibt, Lesern neue Welten zu eröffnen, reist seine Protagonistin Matilda in ihrer Phantasie nicht mehr mit Rudyard Kipling nach Indien, auch Joseph Conrad ist getilgt. An deren Stelle begleitet Matilda Jane Austen ins neunzehnte Jahrhundert und John Steinbeck nach Kalifornien. Wie sollen Leser das Herz der Finsternis kennenlernen, wenn alle Schattenseiten geschönt sind?

          Gina Thomas
          Feuilletonkorrespondentin mit Sitz in London.

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