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: Zwischen Amselfeld und Fushe Kosove

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Slobodan Milosevic war zwar als aktiver Politiker nur ein mittelmäßiger Aufwiegler und ist auch in seiner zweiten Karriere als Angeklagter vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag nicht als großer Redner in Erscheinung getreten, doch diese seine Worte sind historisch: "Niemand soll es wagen, euch zu schlagen...

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          Slobodan Milosevic war zwar als aktiver Politiker nur ein mittelmäßiger Aufwiegler und ist auch in seiner zweiten Karriere als Angeklagter vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag nicht als großer Redner in Erscheinung getreten, doch diese seine Worte sind historisch: "Niemand soll es wagen, euch zu schlagen... Ihr sollt hierbleiben. Dies ist euer Land. Dies sind eure Wiesen und eure Gärten, eure Erinnerungen. Ihr werdet euer Land nicht aufgeben, nur weil es hart ist, hier zu bleiben, weil euch Ungerechtigkeit und Erniedrigung bedrücken. Es war nie ein Charakterzug der Serben und Montenegriner, vor Hindernissen zurückzuschrecken, zu demobilisieren in Zeiten des Kampfes. Ihr solltet hierbleiben, um eurer Vorfahren und eurer Nachkommen willen."

          Also sprach Milosevic an einem Apriltag des Jahres 1987, ganz am Anfang seines skrupellosen Abstiegs zum balkanischen Kriegstreiber. An jenem Frühlingstag hielt sich Milosevic, der erst im Vorjahr zum Vorsitzenden des Bundes der Kommunisten Serbiens gewählt worden war, im Kosovo auf, genauer in dem Örtchen Kosovo Polje, zu deutsch: Amselfeld. Er war zu einem Treffen mit Vertretern der serbischen Minderheit an den geschichtsträchtigen Ort der verlorenen Schlacht gegen die Osmanen von 1389 gekommen, als er seinen in Serbien bald berühmten Ausspruch tat, der den Prolog zum Kosovo-Konflikt der neunziger Jahre bildete. Fast zwanzig Jahre später soll in Wien nun der Epilog folgen: Der Tod des kosovarischen Präsidenten Ibrahim Rugova, der an diesem Donnerstag in Prishtina beerdigt wird, hat den Beginn der Gespräche zwar verzögert, doch noch im Februar sollen die direkten Verhandlungen zwischen Serben und Kosovo-Albanern in der österreichischen Hauptstadt laut UN-Chefvermittler Ahtisaari beginnen können.

          Über die Ereignisse in den zwei Jahrzehnten dazwischen informiert ein Buch, das Wolfgang Petritsch und Robert Pichler herausgegeben haben. Petritsch ist österreichischer Diplomat, erprobter Balkan-Vermittler und war einst Hoher Repräsentant der Staatengemeinschaft in Bosnien-Hercegovina. Pichler von der Karl-Franzens-Universität in Graz ist ein hervorragender Kenner des Kosovo und Albaniens. Ihren Darstellungen haben sie eine Fülle von Dokumenten, Redetexten, Appellen, Vertrags- und Verhandlungstexten im Originalwortlaut zur Seite gestellt. Ausführlich wird das Herannahen des Nato-Angriffs auf Jugoslawien geschildert und die großen und kleinen geschichtlichen Ereignisse zuvor, wie die Konferenz von Rambouillet oder ein viel unbekannteres, womöglich aber nicht weniger bedeutsames Treffen der damaligen Außenminister der Vereinigten Staaten, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Rußlands am 8. Oktober 2000 in der VIP-Lounge des Flughafens London Heathrow. Auf diesem Treffen habe der damalige russische Außenminister Iwanow seinen westlichen Gegenparts deutlich gemacht, "daß Moskau jede Resolution des Sicherheitsrats für einen Nato-Einsatz mit einem Veto belegen würde. Somit blieb nur der Alleingang der Nato, der, laut Iwanow, zwar heftige Verbalattacken Moskaus gegen den Westen nach sich ziehen würde, aber keine ernsthafte globale Destabilisierung."

          Das Buch gewinnt durch Pichlers Detailkenntnis und die Schilderungen Petritschs, der EU-Sonderbotschafter für das Kosovo und europäischer Chefverhandler in Rambouillet war. Die Autoren schnüren vergessene und wenig zur Kenntnis genommene Inhalte des kosovarischen Konfliktpakets. Manche der markigen Aussprüche der Akteure von damals erhalten im Licht der heutigen Lage einen merkwürdigen Nachgeschmack, etwa das Zitat "Serbs out, Nato in, refugees back" des damaligen britischen Verteidigungsministers und späteren Nato-Generalsekretärs Robertson. Denn tatsächlich sind zwar die albanischen Flüchtlinge heute wieder ins Kosovo zurückgekehrt, wo Truppen aus Nato-Staaten für Ordnung sorgen, zumindest akutes Chaos zu verhindern suchen. Vertrieben sind aber nicht nur serbische Soldaten und die marodierenden Mörderbanden Milosevics, sondern auch Zehntausende serbische Zivilisten. Serben gibt es heute nicht mehr in dem Städtchen Amselfeld oder Kosovo Polje, wo vieles begann. Auf albanisch heißt der Ort Fushe Kosove.

          Wolfgang Petritsch/Robert Pichler: "Kosovo-Kosova. Der lange Weg zum Frieden". Wieser Verlag, Klagenfurt 2005. 411 Seiten, 25 Euro.

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