Rezension: Sachbuch : "Sollen die Deutschen doch leiden"
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Deutlich wird bei Bacque, daß der 8. Mai 1945 nicht die Zäsur war, für den man ihn gemeinhin hält. Er bedeutete das Ende nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und von Greueltaten in deutschem Namen. In vielen alliierten Köpfen aber war die Einstellung zum Kriegsgegner nach wie vor ungebrochen. Eine Vielzahl an Gründen mag dafür verantwortlich gewesen sein: das bei der Befreiung der Konzentrationslager Gesehene und Erlebte, Nachwirkungen alliierter Kriegspropaganda oder schlicht die Ausnutzung faktischer Machtpositionen. Das Leiden der Zivilbevölkerung, zumal in den Städten, hatte damit noch kein Ende. Das änderte sich erst, als die manichäische Falle die Deutschen freigab und die Sowjetunion hineingeriet. Die amerikanische Deutschland-Politik, die erst 1946/47 private Hilfslieferungen langsam zuließ, hatte bis dahin eine unübersehbare Zahl an Opfern gefunden. Ob die in diesem Zusammenhang für alle vier Zonen genannte Zahl von 5,7 Millionen zutreffend ist, darf bezweifelt werden. Zwar hat Bacque, soweit ersichtlich, das verfügbare statistische Material umfassend ausgewertet, doch bleiben angesichts der chaotischen Zustände am Kriegsende, der nicht immer zuverlässigen Erhebungen und der wohl auch beschönigenden amerikanischen Datenaufbereitung etliche Faktoren ungesichert. Ohnehin scheint das Herausstellen bestimmter Opferzahlen der historischen Aufarbeitung komplexer Zusammenhänge eher hinderlich zu sein. Das gilt auch für die Kriegsgefangenenproblematik. Zu leicht verstellt der Hinweis auf nackte Zahlen, die ob ihrer Abstraktheit jegliche Plastizität verlieren, den Blick auf das Einzelschicksal, das in seiner Konkretheit erst das ganze Ausmaß des Schreckens erfahrbar macht. Wichtiger als die Frage nach dem Wieviel sollte die Frage nach dem Wieso sein. Nur letztere läßt Antworten zu, die als eine Lehre aus der Geschichte zu begreifen sind.
Das Verhältnis der Besetzten auch zu den westlichen Besatzungsmächten war nicht allein geprägt von Entnazifizierung, Demokratisierung und Wiederaufbau. Es war lange Zeit höchst ambivalent, teilweise orientierungslos. Nicht anders ist zu erklären, daß der amerikanische Militärgouverneur Clay die Bitte, zwei große, für deutsche Zivilisten bestimmte Lebensmittellieferungen des Roten Kreuzes zuzulassen, mit den Worten ablehnte: "Sollen die Deutschen doch leiden." Hier den Finger in die Wunde gelegt zu haben ist das Verdienst Bacques, wenn sich über einzelne Thesen auch trefflich streiten läßt, wie zum Beispiel über die allenthalben durchschimmernde Vorstellung, es habe eine Art konspirativen Zusammenwirkens gegeben. Die Verfehlungen einzelner - auch wenn es deren zu viele gab - lassen diese Einschätzung nicht ohne weiteres zu. Daß derartige Ergebnisse bisher verschwiegen, ja der Öffentlichkeit bewußt vorenthalten wurden, wie Bacque meint, vermag nicht zu überzeugen. Aus den Reihen der ehemals Alliierten ist eine derartige Nabelschau nicht zu erwarten. Das hat nicht zuletzt mit der Aufrechterhaltung bestimmter Geschichtsbilder zu tun. Und daß man sich in Deutschland der alliierten Besatzungspolitik bislang mit anderen Fragestellungen genähert hat, dürfte darauf zurückzuführen sein, daß diesen für das Selbstverständnis der jungen Demokratie eine größere Bedeutung zukam. Nachdem die Demokratie erwachsen geworden ist, bleibt zu hoffen, daß auch die hiesige Zeitgeschichtsforschung die Anregungen - manche mögen sagen: Provokationen - Bacques aufnimmt und zu ihrer Überprüfung beiträgt. Ganz in diesem Sinne ist auch die Forderung von Alfred de Zayas im Vorwort zu verstehen: "Gehen wir nun zur Debatte über." BURKHARD SCHÖBENER