Rezension: Sachbuch : Ordnung für ein Staatsfragment
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Ein neuer Band der Quellenedition zum Parlamentarischen Rat
Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle. Band 11: Interfraktionelle Besprechungen. Herausgegeben vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv. Bearbeitet von Michael F. Feldkamp. R. Oldenbourg Verlag, München 1997. L, 309 Seiten, 78,- Mark.
Die Arbeit des Parlamentarischen Rates, der vom September 1948 bis Mai 1949 das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland schuf, wird in mehreren Akten- und Protokollbänden dokumentiert. Band elf ist den interfraktionellen Besprechungen gewidmet, deren Einfluß auf die Gestaltung des Grundgesetzes nicht zu gering veranschlagt werden darf. Es gab verschiedenartige Gremien, die sich diesen Besprechungen widmeten. So wurde etwa im Januar 1949 der "Unterausschuß der interfraktionellen Konferenz" auf Vorschlag des Ratspräsidenten Konrad Adenauer gebildet, der auch den Vorsitz übernahm. Mitglieder dieses Fünfer-Ausschusses waren Heinrich von Brentano und Heinrich Kaufmann von der CDU, Walter Wenzel und Carlo Schmid von der SPD und der Freidemokrat Hermann Schäfer, der sich je nach Thema von Thomas Dehler, Theodor Heuss oder Hermann Höpker-Aschoff vertreten ließ. Ausgeschlossen blieben neben den Zwei-Personen-Gruppen Deutsche Partei (DP), KPD und Zentrum auch die Christlich-Sozialen aus Bayern.
Beobachter meinten, daß Adenauer den Kreis extra deswegen so klein gehalten hatte, um den Einfluß der föderalistischen CSU auszuschalten. Auch in dem um Johannes Brockmann (Zentrum) und Hans-Christoph Seebohm (DP) erweiterten Siebener-Ausschuß, der im März 1949 als Reaktion auf das kritische Memorandum der Alliierten geschaffen wurde, fehlte die CSU. Andererseits kann das CSU-Mitglied Anton Pfeiffer, der im Parlamentarischen Rat sogar die 27 Köpfe umfassende CDU/CSU-Gemeinschaftsfraktion anführte, ebenso zum "harten Kern" der interfraktionellen Besprechungen gezählt werden. Von ihm, der bei allen möglichen Sitzungen mitstenografierte, konnten eine Reihe von Protokollen aus dem Nachlaß veröffentlicht werden. Andere stammen von Hans Trossmann, damals Sekretär des Parlamentarischen Rates, dann von 1949 bis 1970 Direktor beim Deutschen Bundestag.
Diese Protokolle gewähren Einblicke in die politischen Kontroversen. Meinungsverschiedenheiten gab es etwa über die zweite Gesetzgebungskammer neben dem Bundestag. Abweichend von den Christdemokraten befürworteten sozialdemokratische Ratsmitglieder einen direkt von den Landtagen gewählten Senat. Adenauer und sein Parteifreund Adolf Süsterhenn favorisierten zeitweise eine Mischung aus der Senats- und der Bundesratslösung. Schließlich kam es bei einem von CDU/ CSU-Fraktionschef Pfeiffer initiierten gemeinsamen Abendessen des bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard (CSU) und des nordrhein-westfälischen Innenministers Walter Menzel (SPD) am 27. Oktober 1948 zu einer Einigung über einen in der Regel mit suspensivem Veto ausgestatteten Bundesrat, der lediglich in Ausnahmefällen - wie beim Finanzausgleich und bei Änderungen der Kompetenz des Bundes - gleiches gesetzgeberisches Gewicht wie der Bundestag haben sollte.
Zu den kontroversen Themen zählte auch die Aufteilung der Finanzen zwischen Bund und Ländern. Erzföderalisten wie das CSU-Ratsmitglied Kaspar Friedrich Schlör machten mehrere erfolglose Versuche, die Einkommen- und Körperschaftsteuer ganz für die Länder zu sichern. In der Bereitschaft, dem Bund ausreichende finanzielle Mittel zukommen zu lassen, gab es im Parlamentarischen Rat eine auffallende Übereinstimmung von SPD und FDP. Beide Parteien verhinderten auch die Aufnahme eines - konfessionelle Schulen begünstigenden - "Elternrechts" in den Grundrechtskatalog.
Heute mag es verwundern, daß die SPD zunächst einen verkürzten Grundgesetzentwurf mit ersatzlos gestrichenen Grundrechten vertraten. Aus der Einleitung zu den Protokollen wird nicht deutlich, daß dies der Philosophie des SPD-Fraktionsvorsitzenden Carlo Schmid entsprach, der ursprünglich wegen der Teilung Deutschlands nur eine "Notordnung" für ein "Staatsfragment" befürwortete. Nach einer im April 1949 geführten Aussprache zwischen Ratspräsident Adenauer und Carlo Schmid ließ die SPD ihren verkürzten Entwurf endgültig fallen.
Bemerkenswert ist, daß Heinrich von Brentano als einziger prominenter Politiker gegen die vorgesehene Abstimmung in den Länderparlamenten und für eine Volksabstimmung über das Grundgesetz focht. Konrad Adenauer und der Sozialdemokrat Otto Suhr aus Berlin (später dort Regierender Bürgermeister) widersprachen übereinstimmend mit dem Argument, daß durch ein Plebiszit die erste Bundestagswahl und die Bildung einer Bundesregierung unnötig hinausgezögert würden.
Kleine Ungenauigkeiten in den begleitenden Texten können nicht übersehen werden. Manche Ratsmitglieder werden mit Minibiographien vorgestellt, andere - wie etwa die Bayern Wilhelm Laforet und Schlör - gehen leer aus. Alois Hundhammer hatte zwar je einen Doktortitel in der volkswirtschaftlichen und in der landwirtschaftlichen, nicht jedoch in der juristischen Fakultät erworben. Carlo Schmid wurde bereits im Herbst 1949 - und nicht erst 1965 - Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Doch diese Flüchtigkeiten ändern nichts daran, daß hier eine bemerkenswerte Dokumentation vorliegt. GISELHER SCHMIDT