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: Kein Hauch von Bürgerkrieg

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"Wahlkämpfe müssen einen Hauch von Bürgerkrieg ins Land tragen, anders lassen sich die Bürger nicht mobilisieren", meinte einst Winston Churchill. An diese Empfehlung haben sich die deutschen Wahlkämpfer nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gehalten. Die Begründung liefert Thomas Mergel in seiner lesenswerten Studie ...

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          "Wahlkämpfe müssen einen Hauch von Bürgerkrieg ins Land tragen, anders lassen sich die Bürger nicht mobilisieren", meinte einst Winston Churchill. An diese Empfehlung haben sich die deutschen Wahlkämpfer nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gehalten. Die Begründung liefert Thomas Mergel in seiner lesenswerten Studie gleich mit: Wahlkampf im Bürgerkrieg von NSDAP und KPD hatten sie Anfang der dreißiger Jahre genug gehabt. Um so erstaunlicher allerdings die "Offenheit, ja Unverfrorenheit, mit der die Vergangenheit in Wahlkämpfen nach dem Krieg instrumentalisiert wird", nicht allein, weil die APO und ihre Adepten "mit dem NS-Vorwurf schnell bei der Hand waren".

          Nein, schon im ersten Wahlkampf 1949 ging es los, wetterte die CDU über die "Nazi-Methoden der SPD gegen Erhard", während es auf Seiten der Sozialdemokraten hieß, Konrad Adenauers Rede "hätte Hitlers Hinkefuß Goebbels nicht besser halten können". 1957, in jenem Jahr, als Adenauer einen Wahlsieg der SPD mit dem Untergang Deutschlands gleichsetzte, plakatierten eben jene Sozialdemokraten: "In 12 Jahren ruinierte Hitler Deutschland. Gebt Adenauer keine 12 Jahre Zeit." Die FDP erklärte damals, Adenauer sei "die größte Gefahr in der deutschen Geschichte seit Hitler" - und einer ihrer Spitzenpolitiker, Reinhold Maier, der einzige Ministerpräsident, den die Partei je hervorgebracht hat, warnte, der Alte aus Rhöndorf bereite "die totale Machtergreifung im Staate vor". Ein Jahr später - die Union hatte inzwischen als erste und einzige deutsche Partei in freien Wahlen die absolute Mehrheit in Prozenten und Mandaten gewonnen - nannte der SPD-Politiker Herbert Wehner den siegreichen Bundeskanzler "eine Nachgeburt Hitlers". Ließ sich der Wundergreis Adenauer im Wahlkampf mit seinen Enkeln ablichten, dann kommentierte der Sozialdemokratische Pressedienst hämisch: "Kinder ziehen immer, selbst Hitler nahm sie auf den Arm . . . " Der Kanzler scherte sich um derlei Anwürfe wenig, nutzte in seinen Wahlkämpfen ganz ungeniert Görings bequemen Sonderzug.

          Mergel hat eine Fülle solch erstaunlicher Fundstücke zusammengetragen, hat auch das wellenförmige An- und Abschwellen von aggressiven Kampagnen herausgearbeitet. Während in den fünfziger und siebziger Jahren in Wahlkämpfen eher geholzt und gebolzt wurde, waren sie in den Sechzigern unter dem Eindruck von Willy Brandt und Ludwig Erhard stärker "friedfertig-sachlich", nicht zuletzt, weil Brandt sich damit ganz bewusst von der infamen Kampagne absetzte, die auf seine uneheliche Geburt und sein Exil anspielte, ihn als "vaterlandslosen Gesellen" zu stigmatisieren suchte. Allerdings bedeutete "68" auch für die Wahlkämpfe einen tiefen Einschnitt, weil fortan Regelverletzungen und massive Störungen von Wahlveranstaltungen zum Repertoire des linken politischen Lagers gehörten, was nicht nur Franz Josef Strauß zu spüren bekam, gegen den 1980 der "härteste Wahlkampf überhaupt" geführt werden sollte. Dass Helmut Schmidt angesichts der Studentenunruhen 1968/69 mit "über 30 Toten im Wahlkampf" rechnete, war aber in jedem Fall übertrieben.

          Es ist tatsächlich "ein Stück Kulturgeschichte", das Mergel bietet, auch wenn er sich vor allem auf CDU und SPD konzentriert, deren Archive umfassend durchforstet und ausgewertet hat, den Anteil der Grünen am deutschen "Campaigning" weitgehend ausblendet. Das ist deshalb schade, weil er die hohe Bedeutung von Angstkampagnen, das Eingehen auf das umfassende Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung sorgfältig herausdestilliert, den Antikommunismus ("Alle Wege der SPD führen nach Moskau") als entscheidenden Wahlhelfer der Union in den fünfziger Jahren präsentiert. Der hat nun lange ausgedient. Aber könnte es nicht sein, dass an seine Stelle in den Wahlkämpfen seit den achtziger Jahren zunehmend "Atomkraft" als mobilisierender Angstbegriff getreten ist, den ganz besonders die Grünen zu instrumentalisieren verstehen?

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