: Im Maschinenraum
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Gesetze und Verordnungen über den Umgang mit Maschinen (Maschinenschutzgesetz) und die Ausstattung von Fabriken (Arbeitsstättenverordnung), über den Schutz von Jugendlichen, Frauen und Behinderten, über Heimarbeit und Arbeitssicherheit sind nicht der Stoff, an dem sich die Phantasie sozialer Reformer leicht entzündet.
Gesetze und Verordnungen über den Umgang mit Maschinen (Maschinenschutzgesetz) und die Ausstattung von Fabriken (Arbeitsstättenverordnung), über den Schutz von Jugendlichen, Frauen und Behinderten, über Heimarbeit und Arbeitssicherheit sind nicht der Stoff, an dem sich die Phantasie sozialer Reformer leicht entzündet. Wer sich aber vornimmt, die Wege gewerkschaftlicher Mitwirkung am Gesetzgebungsprozeß zu erkunden, um die Arbeitsweise eines der wichtigsten Akteure der korporativen Marktwirtschaft kennenzulernen, tut gut daran, allzu spektakuläre Politikfelder zu meiden. Gewiß, auch die deutschen Gewerkschaften definieren sich vor allem über Erfolge in der Tarifpolitik und in der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen (Mitbestimmung). Erst dann folgt - mit großem Abstand - in der internen Rangordnung gewerkschaftlicher Arbeit die Sozialpolitik mit den klassischen Feldern der Arbeitslosen-, Alters-, Kranken- und Unfallversicherung.
Wenn Stefan Remeke sich ausdrücklich gegen solche Themen entscheidet, obwohl sie attraktiv sind und ebenfalls offene Forschungsfragen bieten, dann hat dies seinen Grund. Er hätte seine Untersuchung sonst tarif- und wirtschaftspolitischen Fragen öffnen müssen und riskiert, sein eigentliches Ziel zu verfehlen. Der Autor macht den Arbeitnehmerschutz zum Objekt seiner akribischen Archivstudie, weil er dort den besten und tiefsten Einblick in die sachbezogene, sozialpolitische Funktionsweise des Gewerkschaftsapparates gewinnen kann. Sein Interesse gilt nämlich nicht der Kommandobrücke, sondern dem Maschinenraum des nominellen Flaggschiffs der deutschen Gewerkschaften, des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
Aber auch die Sache selbst ist alles andere als langweilig. Im Arbeiterschutz lagen im 19. Jahrhundert die ersten Anfänge der Sozialpolitik. Es war das erste Feld, auf dem vor allem der sozial-konservative Staat versucht hat, die politische Sprengkraft der sozialen Frage zu entschärfen. Seitdem blieb die Arbeiterschutzpolitik im wesentlichen auf den Industriearbeiter konzentriert, während die Arbeit und ihre Organisation im 20. Jahrhundert immer stärker nachindustrielle Züge annahm. Dies verstärkte den Druck, auch den Arbeiterschutz an ein wirtschaftliches Umfeld anzupassen, das immer weniger durch die materielle Produktion geprägt war. Am Ende der langen fünfziger Jahre, als sich die westdeutsche Gesellschaft nach dem Wirtschaftswunder neu zu orientieren begann, war die Gelegenheit dazu günstig. Während der ersten Großen Koalition und mehr noch während der anschließenden SPD-FDP-Koalition war die Partei der Arbeiterbewegung an der Macht und mit Walter Arendt ein Gewerkschafter Bundesarbeitsminister.