Picassos Modell : Der Sommer mit Sylvette
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Was geschah, als Sylvette David für Picasso 1954 Modell saß? Das weiß niemand besser als sie selbst. Zum ersten Mal seit sechzig Jahren ist sie jetzt nach Südfrankreich zurückgekommen, wo sie den Künstler kennenlernte. Eine Begegnung.
Sylvette war anders. Sie war ein besonderes Mädchen. Das sah Picasso gleich. Sylvette David hat Picasso vom April bis zum Juni 1954 in seinem Atelier in Vallauris Modell gesessen. Niemals zuvor hat er eine so dichte Porträtserie geschaffen, wie er es von dieser jungen Frau tut. Doch wer ist Sylvette? Wer ist das Mädchen, nach dem - in spielerischer Anlehnung an seine „Blaue Periode“ und seine „Rosa Periode“ - Picassos „Pferdeschwanz-Periode“ heißt?
Sylvette war mit ihrer Mutter und ihrem englischen Verlobten Toby Jellinek, den sie in A. S. Neills Internat „Summerhill“ in Suffolk kennengelernt hatte, 1953 nach Südfrankreich gezogen. Toby Jellinek versuchte sich in künstlerischer Produktion in einer Werkstatt in Vallauris, die nicht weit weg von Picassos Atelier lag.
Das Mädchen mit dem Pferdeschwanz
Sylvette versuchte sich in gar nichts, sie hatte keine Pläne. Sie war, geboren am 14. November 1934 in Paris, neunzehn Jahre jung, eine Zukunft war nicht in ihrem Kopf, sie war verliebt in Toby, den sie später auch heiratet. Sie saß in der Sonne, trank Kaffee und rauchte mit anderen jungen Leuten. Und sie war so hübsch, wie es nur junge Frauen sein können, die nicht um ihre Anmut wissen.
Es gibt diese Zufälle, die später Historie werden: Eines Tages Anfang 1954 kommt Picasso in die Töpferwerkstatt Madoura in Vallauris, die er mit seinen dort entstandenen Keramiken gerade weltberühmt macht. Toby Jellinek hatte bei Madoura zwei von ihm gebaute, extravagante Stühle ausgestellt. Die Stühle gefallen Picasso, er kauft sie - und Toby und Sylvette bringen sie zu ihm in die Villa „La Galloise“, wo Picasso seit 1948 mit Françoise Gilot und den Kindern Claude und Paloma lebt.
Kurz danach sehen sie und ihre Freunde, wie Picasso eine Zeichnung mit ihrem Porträt über den Rand einer Gartenmauer hält, hinter der die jungen Leute zusammensitzen. Es ist eine witzige Aufforderung; fortan geht Sylvette in sein Atelier. So einfach beginnt ihre Geschichte als das „Mädchen mit dem Pferdeschwanz“, die schnell um die Welt geht. „Paris Match“, „Life“ und „Spiegel“ drucken Bildgeschichten über den Maler und sein junges Modell.
Rückkehr nach sechs Jahrzehnten
Noch heute ist Sylvette David eine schöne Frau von 79 Jahren, die Orte ihrer Jugend begrüßt sie nach sechs Jahrzehnten freudig wieder. Dabei verhehlt sie nicht ihre Rührung und ihre Aufregung - und auch nicht, wie wirklich naiv sie damals war: ein Mädchen, das dank einer unkonventionellen Mutter beinah hippiehaft aufwuchs, fern von Paris, wo ihr Vater Kunsthändler war, in den Rhone-Alpen, dann im freiheitlichen „Summerhill“.
Sie war sich ihrer Rolle, die sie so plötzlich weltbekannt machen sollte, nicht bewusst. Denn alles begann ja so: Im Frühjahr 1954 war Pablo Picasso 73 Jahre alt, seine Beziehung mit Françoise Gilot war zerbrochen, er litt. Françoise war schon so gut wie weg, in Paris, die gemeinsamen Kinder nahm sie mit. Über die schmerzhafte Trennung hat sie später in ihrer Autobiographie „Leben mit Picasso“ berichtet, nicht unbedingt objektiv, aber eindrucksvoll; Picasso kommt dabei nicht so gut weg.
Allerdings war auch Jacqueline Roque schon in der Warteschleife, die letzte Gefährtin und Ehefrau bis zu seinem Tod 1973 sein wird. Sie arbeitete bei Madoura als Verkäuferin, und es gab schon 1952 ein erstes Porträt von ihr als „Madame Z“. Da trat unerwartet Sylvette auf den Plan - sweet nineteen, ein Geschenk des Himmels für das gekränkte egozentrische Genie.
Er macht sich an die Arbeit mit ihr, aber er macht sich nicht an sie heran. Picasso, dieser Frauen-Gourmand, ist ihr kein einziges Mal zu nah getreten; das versichert Sylvette David. Vielleicht wollte er es nicht, aber vor allem hätte er auch keinen Erfolg bei ihr gehabt. I was so shy, sagt sie heute dazu, außerdem war ihr Verlobter Toby ziemlich eifersüchtig.