Pferd und Mensch : Das Ende des kentaurischen Pakts
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Bei Sonnenuntergang Bild: dpa
Erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs endete definitiv die Epoche gemeinsamer historischer Arbeit: Wir erzählen, wie Mensch und Pferd sich getrennt haben - und was zuvor geschehen war.
Wer um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts auf dem Land geboren wurde, erblickte eine alte Welt, die sich wenig von derjenigen unterschied, die hundert Jahre früher da gewesen war. Gewiss, auch hier hatten die Maschinen, die um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts seltene Ausnahmen gewesen waren, der Zahl nach zugenommen. Überdies waren sie kleiner, praktischer, alltäglicher geworden und sahen nicht mehr aus wie mittelalterliche Belagerungsmaschinen oder Saurier aus „Jurassic Park“.
Immer häufiger kam es vor, dass sie von kleinen Traktoren gezogen wurden; Geräten, die das neunzehnte Jahrhundert noch nicht oder nur in Verbindung mit enormen Dampfmaschinen gesehen hatte. Die Traktoren um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts leisteten fünfzehn oder zwanzig PS, hatten kurze, einprägsame Namen wie Fendt, Deutz, Lanz oder Faun und waren, mit Ausnahme des grauen Lanz, grün lackiert. Im Rückblick wirken sie wie fragile Grashüpfer, verglichen mit den Mammuts von heute mit zweihundert PS und schalldichter Kabine.
Immer noch aber waren Pferde, schwere belgische Kaltblüter, kraftvolle Trakehner und stämmige Haflinger, das am stärksten verbreitete und am meisten gebrauchte Transport- und Zuggerät. Über den Winterbildern meiner Erinnerung steht der Dampf ihres Atems und ihrer erhitzten Flanken, über den Sommerbildern liegt der Duft ihrer braunen Felle und hellen Mähnen. Immer noch spüre ich das Entsetzen, mit dem ich zusah, wie ihnen beim Beschlagen vierkantige Eisennägel in das, was ich für ihre Fußsohlen hielt, getrieben wurden. Immer wenn ich später hörte, irgendjemand sei „beschlagen“, also gebildet, kundig, belesen, tauchten vor meinem Auge die Vierkantnägel auf.
Lebendige Skulpturen im Verschlag
In den Ställen der Bauern, die noch von den Erträgen des Landes lebten und ihre ärmlichen Höfe nicht gegen einen Arbeitsplatz in der Fabrik eingetauscht hatten, nahmen die Boxen der Pferde den kleineren, aber nobleren Teil ein. Die Kühe, Rinder, Kälber, Schweine und Hühner machten sich breiter, sie stanken heftiger und führten das große Wort, sie waren, mit einem Wort, die Plebs im Stall; die Pferde waren selten, kostbar und wohlriechend, sie aßen manierlicher und litten spektakulärer, besonders ihre Koliken waren gefürchtet. Wie lebendige Skulpturen standen sie in ihren Verschlägen, nickten mit den schönen Köpfen und signalisierten mit den Ohren Misstrauen oder Verdacht.
Die Pferde hatten ihre eigene Weide, auf die sich nie eine Kuh verirrte, von Schweinen oder Gänsen ganz zu schweigen. Kein Bauer wäre je auf die Idee gekommen, die Weide der Pferde mit Stacheldraht zu umgeben, hinter dem sich Kühe und vor allem Schafe wiederfanden. Bei den Pferden genügte ein bisschen Holz oder ein leichter Elektrozaun. Aristokraten sperrt man nicht ein, man erinnert sie an ihr Ehrenwort, auf Flucht zu verzichten.