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Katholische Kirche : Ratzingers Brief – die nächste Provokation

Joseph Ratzinger als Kardinal 1994 in Rom Bild: Barbara Klemm

Nicht jeder Fakten-Check ist ein Lügen-Check: Der emeritierte Papst Benedikt äußert sich zu seinem Fehler in der Missbrauchsdebatte.

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          Man sollte sich nicht die menschliche Blöße geben, diese Stellungnahme zur Stellungnahme der Unaufrichtigkeit zu zeihen. Hier schreibt jemand, der sich mit Blick auf den nahen Tod auf seinen Gott beruft, ihn gleichsam zum Zeugen des dreiseitigen Briefes anruft, den Joseph Ratzinger, emeritierter Papst, gestern vom Pressesaal des Heiligen Stuhls veröffentlichen ließ. Dass darin eine Glaubenserfahrung zur Sprache kommt, die über den Faktencheck von Sitzungsprotokollen und Lüge-Vorwürfen hinausreicht, kann nicht als frommes Beiwerk abgetan werden und entzieht sich jeder Einordnung von außen.

          Gewissheit über das Weiterleben nach dem Tod

          Gegen Ende seines Briefes schreibt Ratzinger: „Im Blick auf die Stunde des Gerichts wird mir die Gnade des Christseins deutlich. Es schenkt mir die Bekanntschaft, ja die Freundschaft mit dem Richter meines Lebens und lässt mich so zuversichtlich durch das dunkle Tor des Todes hindurchgehen.“ Dieses nun weltweit rezipierte Bekenntnis eines gläubigen Menschen, der hier nur zufällig auch als Papst regierte, beeindruckt als existentieller, nicht als kirchenpolitischer Akt. Und es macht, in dieser Lapidarität gesprochen, neidisch auf Menschen, denen das Unwahrscheinliche – ein Weiterleben nach dem Tod – zur subjektiven Gewissheit wurde.

          Lapidar auch die Einlassungen zur Sache, um die gestritten wird. Wir erfahren (in der Ratzingers persönlichem Brief beigefügten juristischen Zurückweisung von Vorhaltungen gegen ihn), wer die zweiundachtzig­seitige Stellungnahme im Münchner Missbrauchsgutachten verfasste, die Ratzinger unterschrieben hat. Vier Rechtsexperten haben in dieser Stellungnahme die juristische Systemlogik auch dort zu Geltung gebracht, wo ein Wort der persönlichen Verantwortung angebracht gewesen wäre, jedenfalls wenn jemand zeigen möchte, dass ihm bei der Frage von Aufklärung und Bestrafung von Missbrauchstätern nicht nur das Tun, sondern auch das Unterlassen Anlass zur Gewissenserforschung ist.

          Ratzinger hat die Falschdarstellung („Du sollst nicht lügen!“, „Bild“-Zeitung) in einer seiner Antworten nun zu erklären versucht: Es seien „über die von der Kanzlei mir gestellten Fragen hinaus nahezu 8000 Seiten digitale Aktendokumentation zu lesen und auszuwerten“ gewesen. „Bei der Riesenarbeit jener Tage – der Erarbeitung der Stellungnahme – ist ein Versehen erfolgt, was die Frage meiner Teilnahme an der Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 betrifft. Dieser Fehler, der bedauerlicherweise ge­schehen ist, war nicht beabsichtigt und ist, so hoffe ich, auch entschuldbar.“ Tatsächlich ist ein objektiv falsch dargestellter Sachverhalt noch nicht notwendigerweise eine Lüge, sonst wäre jeder Fakten-Check im­mer schon ein Lügen-Check, was ei­nem Dauerkurzschluss in der moralischen Bewertung gleichkäme.

          Christian Geyer-Hindemith
          Redakteur im Feuilleton.

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