Papst Benedikt XVI. wird 85 : Es gibt keine Hellenisierung des Christentums
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Am Montag feiert er seinen fünfundachtzigsten Geburtstag: der Papst vor fünf Jahren in Wien. Bild: picture-alliance/ dpa
Dagegensein als Prinzip? Der Aufruf Benedikts XVI., die Kirche möge sich entweltlichen, scheidet die theologischen Geister. Wie kann der Glaube, wenn er selbst Kultur ist, gegen die Kultur ins Feld geführt werden?
Der französische Politologe Olivier Roy warnt in seinem Buch „Heilige Einfalt“ vor der zunehmenden Entweltlichung der Religionen, ihrer kulturellen Entwurzelung im Zeichen einer religiösen Reinkultur. Mit keiner Vokabel hat Benedikt XVI. in jüngster Zeit so viele Diskussionen ausgelöst wie mit der programmatischen, aber nicht näher spezifizierten Forderung, „die wahre Entweltlichung zu finden, die Weltlichkeit der Kirche beherzt abzulegen“, wie er während seines Deutschland-Besuchs in Freiburg im September 2011 erklärte. Was war mit der Parole von der Entweltlichung gemeint, die ja pointiert ein Grundanliegen der Theologie Joseph Ratzingers zum Ausdruck bringt: das „unterscheidend Christliche“ im Verhältnis zur Kultur zu bestimmen? Entweltlicht euch: Ist das ein Aufruf zu heiliger Einfalt, wie sie Roy gar nicht nur pejorativ vorstellt? Wird die Kirche damit zur Selbstenteignung ihres Grund- und Kunstbesitzes aufgerufen, ihrer finanziellen Ressourcen, ihrer konkordatär abgesicherten Rechtsansprüche? Soll die Kirchensteuer abgeschafft werden? Oder ging es dem Papst lediglich um eine theologische Steilvorlage für den Verkauf des fromm-erotisch schillernden „Weltbild“-Verlags?
Nein, nein, all dies sei nicht gemeint, hieß es bei der Bischofskonferenz. Ein Unbehagen machte sich breit bei Amtsträgern und Theologen angesichts des päpstlichen Befehls, die Kirche möge ihre Weltlichkeit ablegen. Nicht nur der hermeneutisch versierte Kardinal Kasper tritt die Flucht nach vorne an: Ihn lässt Benedikts Appell „an einen Rückbau des im Vatikan noch immer üblichen höfischen Stils denken und an weltliche Privilegien, welche aus der Anerkennung des Vatikans als souveräner Staat folgen, die aber nichts mit der berechtigten dadurch gewährten Unabhängigkeit des Papstes zu tun haben“. Da spricht die List der schwäbischen Vernunft, vermag aber die theologischen Gemüter nicht wirklich zu beruhigen.
Je exotischer die Botschaft, desto besser?
Zwar habe der Papst insoweit recht, als man natürlich in höchstem Maße skeptisch bleiben müsse gegenüber einer Kirchlichkeit, die „auf Konformität mit der Gesellschaft angelegt ist und auf Opportunitätsdenken beruht“, erklärt der Kölner Religionsphilosoph Hans-Joachim Höhn. Aber, so fragt Höhn, steht hinter dem Ruf nach Entweltlichung nicht doch eine McKinsey-Theologie, die mit Stichworten wie Markenkernpflege und Alleinstellungsmerkmal nur die Werbebotschaften der Wirtschaft kopiert und das Heil in einem betont antiintellektuell verfassten „Lob der Gegenwelt“ sucht?
Dann hieße Entweltlichung: Je exotischer die Botschaft, desto besser. Ein Rabauken-Katholizismus, wie er von den Piusbrüdern bis Matthias Matussek gepflegt wird, läuft laut Höhn auf weltliche Profilbildungsstrategien hinaus und sei daher werbetechnisch nicht ohne Risiken: „Wenn sich alle auf dieselbe Weise unterscheiden, sind sie alle auf dieselbe Weise anders - und damit einander fast schon zum Verwechseln ähnlich. Wenn die Kirche dieser Logik folgt, praktiziert sie genau das, was der Papst kritisiert: Sie gleicht sich den Maßstäben der Welt an.“
Weltlichkeit als Bedingung der Inkarnation
Dieser vielleicht etwas klügelnde Einwand hat doch einen theologischen Kern, den der Freiburger Theologe Magnus Striet herausschält: „Eine entweltliche Kirche hat es nicht nur nie gegeben, sondern kann es auch nie geben. So wie es auch keine reine, geschichtslose Fleischwerdung des Gotteswortes gibt, sondern eine, die in der konkreten Geschichte stattfindet und deshalb ihrerseits die Zeichen geschichtlicher Kontingenz aufweist. Man nimmt dem Glauben an die Göttlichkeit des Sohnes nichts, wenn man Jesus ein begrenztes, dem Kulturkontext seiner Zeit verpflichtetes menschliches Bewusstsein unterstellt.“ Ironischerweise ist das genau der Punkt, auf dem auch Ratzinger bestehen würde. Auch er bekräftigt, wie zuletzt in seinem Buch „Glaube, Wahrheit, Toleranz“: „Der Glaube selbst ist Kultur. Es gibt ihn nicht nackt, als bloße Religion.“ An diesem Axiom hängt ja Ratzingers gesamte Theologie, das Angewiesensein des Gläubigen auf die kirchliche Gemeinschaft, die für das Bekenntnis bürgt.