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Osterfestspiele Baden-Baden : Singende Geistesgegenwart

Sängerinnenglück bei unglücklich frivoler Regie: Doris Soffel als Gräfin und Elena Stikhina als Lisa Bild: Monika Rittershaus

Kirill Petrenko als Dirigent und exzellente Stimmen machen Tschaikowsky „Pique Dame“ bei den Osterfestspielen Baden-Baden zum musikalischen Triumph. Leider wählt die Regie Nutten statt Putten.

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          Auf die derzeit üblichen Selbstgefälligkeitsgesten, die nicht viel kosten, aber niemandem helfen, verzichtet man in Baden-Baden: Das Festspielhaus wird nicht in den Farben der Ukraine angestrahlt, und auch die Hymne des gerade mitten ins Herz getroffenen Landes wird nicht gespielt. Wozu auch?

          Jan Brachmann
          Redakteur im Feuilleton.

          Den Krieg gewinnt man damit nicht, und die Ukrainer selbst müssten es geradezu als Hohn empfinden bei Osterfestspielen, die ganz im Zeichen russischer Musik stehen. Es hilft auch dem rus­sischen Chefdirigenten der hier resi­dierenden Berliner Philharmoniker, Ki­rill Pe­trenko, nichts, dass er als einer der Ersten überhaupt den Krieg Russlands gegen die Ukraine verurteilt hat. Es hilft ihm auch nichts, dass seine Vorfahren aus der Ukraine stammen (sein Großvater wurde nicht weit von Luzk, in Wolhynien, der heutigen Nordwestukraine, geboren). An­drij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Deutschland, sieht sowieso alle Russen als seine Feinde an, unabhängig von deren Her­kunft und geistigem Hintergrund, also auch Petrenko.

          „So viel russische Musik bei den Osterfestspielen in Baden-Baden – muss das denn sein?“ Das werde er derzeit oft gefragt, sagt der Intendant des Festspielhauses, Benedikt Stampa, in seiner kurzen Eröffnungsrede. Und seine Antwort: „Auf alle Fälle, denn wir haben Tschaikowsky schon gehört, bevor es Putin überhaupt gab.“

          Gehört ja, aber auch ernst genommen? Da fällt die Bilanz der Eröffnungs­premiere, Tschaikowskys Oper „Pique Dame“, schon zwiespältig aus: zerrissen zwischen einer schier unüberbietbaren Sorgfalt in der Arbeit an der Musik durch Petrenko und einer offenkundigen Taubheit der Regie von Moshe Leiser und Patrice Caurier.

          Das Tempo bestimmt die Stimmung

          Alle Menschen, die über ihre Begegnungen mit Tschaikowsky geschrieben haben, waren fasziniert von der Höflichkeit dieses Mannes, der – laut Gustav Mahler – die Haltung eines Offiziers mit den Manieren eines Marquis aus dem achtzehnten Jahrhundert verbunden haben soll. Seine Sprache sei einfach und zugleich gewählt gewesen, frei von Prätentionen wie von Trivialitäten. Und so beginnt Petrenko mit den bestens auf­gelegten Philharmonikern, die er – an­ders als sein Vorgänger Sir Simon Rattle – wirklich zu einem flexiblen, sängersensiblen Opernorchester geformt hat, das Vorspiel: leise, fein durchgearbeitet Artikulation und Dynamik, eine Musik in einfacher, aber äußerst gewählter Ausdrucksweise. Die Registergruppen werden in asynchronen Kurven der Laut­stärken geführt. Das schafft zum einen Transparenz für die Haltetöne der Fagotte und Klarinetten unter der Bewegung der Streicher, zeigt aber auch: Hier gibt es von Anfang an Prozesse, die einander widerstreben und die zu schweren Konflikten führen können.

          In Hermanns fis-Moll-Arioso des zweiten Bildes lässt Petrenko die Cellisten nicht aufschluchzen, wenn sie weinend – piangendo – die Eingangsmelodie des Sängers übernehmen. Sie ordnen sich mit­fühlend dem weitersingenden Hermann unter. Und das ist ein Pracht­exemplar von Tenor: der sagenhaft stimmschöne, kräftige, dabei vorzüglich differenzierende Arsen Soghomonyan. Seine letzte Arie – „Was ist unser Leben? Ein Spiel“ – beginnt er in irrsinnig flackernder Euphorie, um dann, sich stimmlich völlig in der Gewalt habend, den zweiten Vers in unheimlich gedecktem Ton zu beginnen: „Was allein ist verlässlich? Der Tod.“

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