Orientalismus in München : Goethe hätte sich das so gewünscht
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Schule des richtigen Bewusstseins: Eine Münchner Ausstellung will den Orient heiter betrachten und schwelgt dabei in historischen Phantasien. Momente der Kritik muss man suchen.
Am Anfang war mal wieder Napoleon: Was als Propagandamalerei für seinen Ägyptenfeldzug 1798-1801 begann, weitete sich in Europa, vor allem in Frankreich, zu einer orientalistischen Modewelle der akademischen Malerei aus. Kaum ein Thema war offenbar besser geeignet, um westliche Sehnsüchte nach Phantastischem und Erotischem auf einen Kulturraum zu projizieren, der als das ganz Andere, Fremde empfunden wurde.
Zugleich bot die Orientmode des neunzehnten Jahrhunderts dem Akademismus die Chance, seinen schlapp gewordenen Style troubadour mit aufregend-neuen, exotischen Themen publikumswirksam aufzuwerten. Wie die Schau in der Münchner Hypo-Kunsthalle zeigt, gelang es nur wenigen Malern, die in den Orient gereist waren, ihre Erfahrungen aus dieser phantastischen Terra incognita in ihrem OEuvre für überzeugende stilistische Neuerungen fruchtbar zu machen - meistens dominiert das Kuriosum, das nicht selten die Grenze zum orientalisierenden Kitsch überschreitet.
Doch es gibt Ausnahmen: Allein für Delacroix' kleine eigenhändige Replik seines „Todes des Sardanapal“ lohnt sich der Besuch der Ausstellung. Im Gegensatz zu dem monumentalen Skandalbild von 1827, das - geschmacksgeschichtlich interessant - 1846 nach England verkauft wurde, zeigt diese unmittelbar vor dem Verkauf gemalte Erinnerungsskizze an eine für den Künstler ganz entscheidende ästhetische Schlacht, was inzwischen passiert war: ein überwältigendes künstlerisches Erlebnis auf der Marokkoreise 1832, das diesen „Sardanapal“ in ein koloristisches Feuerwerk mit noch größerer Sprengkraft als das Vorbild verwandelt.
Ein ursprünglich reiner Phantasie-Orient wird hier nachträglich mit realer Licht- und Farberfahrung authentifiziert, die der Einbildungskraft des Malers neue Impulse gab. Vor der gut bestückten Delacroix-Wand ruhen zwei große Tierbronzen von Barye - wie Extemporationen der zerstörerischen Energie des „Sardanapal“, dem in raffinierter Hängung dann auch noch die sterbende Kleopatra von Hans Makart im Nebenraum korrespondiert.
Authentischer Kontext für biblische Geschichten
Das sind Höhepunkte einer Schau, die viele Neuentdeckungen, vor allem in der französischen Salonmalerei des späteren neunzehnten Jahrhunderts, ermöglicht: so den in Paris ausgebildeten türkischen Gérôme-Schüler Osman Hamdi Bey und späteren Begründer der Akademie der schönen Künste in Konstantinopel, der in seinen Bildern Gérômesche Glattmalerei mit früher Tourismuskritik paart. Oder Jean Lecomte de Nouÿ, der den ausgedürsteten Besucher nach Durchschreiten der Wüsten-Sektion in der Haremsabteilung mit den Haschischträumen eines Eunuchen amüsiert, dem eine halluzinatorisch im Rauch aufsteigende Schöne und ein orientalisierter Putto erscheinen;
Letzterer zeigt mit einem blutigen Messer zynisch das überdimensionale Attribut der Vergeblichkeit solcher Träume. Oder auch Luc Olivier Merson und seine „Ruhe auf der Flucht“ von 1880 als Paradefall kultureller Überlagerungen und Synkretismen: Er führt die biblische Geschichte in historisch-kritischer Absicht in ihren authentischen Kontext zurück, indem er Maria in einer Wüstenszenerie zwischen den Pfoten einer selig himmelnden Sphinx ihren verdienten Schlaf gönnt.
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