Virtuelle Realität - ein Selbstversuch : Die Maske, die die Welt bedeutet
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Bild: F.A.Z., Andreas Brand, Amadeus Waldner
Eine Rundummaske bringt das Leben und Handeln in virtuellen Welten auf ein neues Level. Mark Zuckerberg hat prompt die Herstellerfirma gekauft. Aber was taugt „Oculus Rift“? Ein Selbstversuch.
Darauf war ich nicht vorbereitet. Nicht auf diesen Spuk. Höhenangst in fünf Zentimetern über dem Grund. Gehweghöhe. Meine Hände sind nass vor Schweiß, die Knie zittern, der Blick geht nach unten. Ich gehe nicht, ich taste mich auf den Sohlen vor. Ich schleiche. Am liebsten würde ich keinen Schritt weiter gehen.
Ich fühle mich wie damals am Grand Canyon oder als mich der Chef des Holiday Parks den Lifthill der GeForce-Achterbahn hochführte, um mich die Bewegungen des Stahlgerüstes spüren zu lassen, wenn die Wagen am anderen Ende der Bahn mit viereinhalbfacher Erdbeschleunigung durch die Kurve fliegen. Aber das war real. Hier blicke ich in eine Tiefe, die es gar nicht gibt. Eine virtuelle Tiefe, die aber sinnlich so aufdringlich ist, dass sie das bedrohliche Potential unserer digitalen Gegenwart noch stärker verdeutlicht und noch etwas unheimlicher erscheinen lässt.
Das Tor zur Matrix
Als das Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik vor kurzem auf Youtube ein Video mit Aufnahmen von den Experimenten im Cyberneum postete, waren spieleerfahrene Schreiber schnell elektrisiert: Das Holodeck wird Wirklichkeit, hieß es. Das Holodeck war in der Fernsehserie „Star Trek“, in Deutschland als „Raumschiff Enterprise“ bekannt, so ziemlich das Phantastischste, was sich die Star-Trek-Technologen haben einfallen lassen.
Virtuelle Realität in Perfektion. Ein Raum, in dem jede beliebige dreidimensionale Welt simuliert und mit verschiedenen Projektions- und Holographietechniken sekundenschnell erzeugt oder wieder zum Verschwinden gebracht wird - beliebige Bewohner inklusive, die man nicht bloß wahrnehmen, sondern wahlweise bespaßen und ärgern kann. Unvergesslich der Star-Trek-Auftritt von Stephen Hawking. Für „die drei größten Geister der Geschichte“ arrangierte Commander Data im Holodeck ein Pokerspiel mit Hawking, Albert Einstein und Isaac Newton.
In einfachen virtuellen Realitäten am Computerbildschirm konnte man bisher nicht wirklich spazieren gehen. Mit der Ausrüstung im Cyberneum schon. Statt mit Lichtprojektion, die von einigen Firmen auch schon getestet wird, verschmilzt man im Cyberneum mit der digitalen Welt durch eine Maske namens Oculus Rift. Sie öffnet das Tor in die andere Welt, in die Matrix.
Ich balanciere über die Holzplanke, ich sehe sie vor mir, zwanzig Zentimeter breit und gut fünf Meter lang, und so spüre ich sie auch unter meinen Füßen. Die Diele federt unter meinem Gewicht und den schlotternden Knien. Alles echt. So wie der „Tracking Room“ im Cyberneum, in dem die Diele aufgebaut ist. Ein schwarzer zwölf mal zwölf Meter großer Raum, in dem sechzehn Infrarotkameras jeden Millimeter meiner Kopfbewegungen erfassen.
Der Rest, die venezianischen Häuser vor mir, der blaue Himmel über mir, die schattigen Gassen tief unter mir und das rote pittoreske Schieferdach, das ich von meinem Balkon aus über die Holzplanke zu erreichen versuche, alles gemalte Illusion. Das wirkt noch nicht lebensecht. Und dennoch beamt mich Oculus Rift mitten hinein in die Matrix. Das Gesichtsfeld, das durch die beiden Linsen von der Mattscheibe erzeugt wird, ist so groß, dass man keine äußeren Grenzen mehr erkennt. Die Gewissheit, vor einem Bildschirm zu sitzen, verschwindet völlig.