Umzug der F.A.Z. : Nun ist es still auf den weiten Fluren
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Jedes Ressort hatte im alten Redaktionsgebäude mit der gewundenen Treppe seine eigene Etage – das Feuilleton lag im vierten Stockwerk. Bild: Ben Kuhlmann
Der Neubau an der Hellerhofstraße war der F.A.Z.-Redaktion vor 35 Jahren auf den Leib geschnitten worden. Er stand auch für den Aufbruch in eine neue Ära der Frankfurter Stadtgeschichte. Jetzt heißt es Abschied nehmen.
Jetzt ist es also so weit: die Kisten sind gepackt. Die Männer vom Umzugsunternehmen bringen sie in den Neubau für Verlag und Redaktion der F.A.Z. im Europaviertel, einen Kilometer westlich vom bisherigen Standort im Frankfurter Gallusviertel. Ein letzter Gang durch die Flure, festgehalten mit der Handykamera, verbunden mit der Ahnung, dass man sich das Video niemals anschauen wird. Eines Tages wird es gelöscht werden, so, wie in den vergangenen Tagen Unterlagen und Bücher aussortiert wurden. Auch vor Umzügen mit dem Büro stellen sich mehr oder weniger grundsätzliche Fragen: Welche Projektideen haben sich erledigt? Für welche Lektüren wird die Lebenszeit noch reichen? Wer viele Kisten gepackt hat, hat noch Träume.
Das Haus an der Hellerhofstraße wird demnächst abgerissen. Vor 35 Jahren war die Redaktion in den Neubau eingezogen. Es ist die heute übliche Zeitspanne für Bürobauten. Zur Begründung heißt es auch in diesem Fall, der Unterhalt sei zu teuer geworden, und eine Sanierung rechne sich nicht. Dem Zeitgeist, der eine Neubesinnung weg vom Neubau-und-Abriss-Zyklus fordert, entspricht das nicht. Realisten werden einwenden, dass es sehr großer Phantasie bedürfte, um für diesen Bau, der der Redaktion einst auf den Leib geschnitten wurde, eine andere Nutzung zu ersinnen.
Das Haus hat seine Geschichte. In den Siebzigerjahren spielte die F.A.Z. mit dem Gedanken, nach Eschborn umzuziehen. In der expansionsgierigen kleinen Nachbarstadt, die als Steuerparadies mit Bauten des Billigfunktionalismus Gestalt annahm, hatte man sich schon ein passendes Grundstück gesichert. Das war unverhohlen als Drohung in Richtung des SPD-geführten Frankfurter Magistrats gemeint, der die Zustände in der für unregierbar erklärten Stadt zu verantworten hatte. Ob der Schaden für Frankfurt oder für die F.A.Z. größer gewesen wäre? Die spöttischen Kommentare der Konkurrenz über die „Eschborner Allgemeine“ hätten sich jedenfalls von selbst geschrieben.
Die zwei Gesichter der funktionalen Moderne
Es kam nicht so weit. 1977 vollzog die Kommunalpolitik unter dem neuen Oberbürgermeister Walter Wallmann eine Wende, die auf ein attraktiveres Stadtbild zielte. In der Führungsetage der F.A.Z. wurde das mit Wohlwollen wahrgenommen. Man entschied sich, zu bleiben und für die auf verschiedene Standorte verteilte Redaktion einen Neubau gegenüber vom bisherigen Hauptgebäude zu errichten. Es fügte sich, dass die Hochzeit der Postmoderne angebrochen war. Frankfurt wurde ihre deutsche Hauptstadt: Wo die Moderne dem Anspruch nach international, fortschrittlich und funktional war, kam der neue Stil spielerisch daher: Regionale Bautraditionen standen hoch im Kurs, man gab sich ironisch und eklektizistisch. Die Hessische Landesbank, die vielen neuen Museen von der Schirn Kunsthalle bis zum Filmmuseum, sowie die Häuser an der Saalgasse zeugen davon. Exzesse mit Säulen, Giebeln und grellen Farben blieben in Frankfurt die Ausnahme, eine gemäßigte Spielart herrschte vor.
Der 1988 bezogene Neubau an der Hellerhofstraße – von ihm sei fortan in der Vergangenheitsform die Rede – gehörte in diese Reihe. Der Frankfurter Architekt Artur Walter hatte ihm zwei Gesichter gegeben. Zum Straßenraum hin präsentierte er sich als scharf geschnittene, vielfach gegliederte Ziegelsteinfassade, während er dem Blockinneren eine helle, gerundete Seite zuwandte, die sogar begrünt werden sollte, was nie so recht gelang. Das hohe Glasfoyer mit den markanten beiden Aufzugstürmen, das amerikanischen Vorbildern folgte, vermittelte zwischen den Polen von Härte und Weichheit. Das in nobler Gediegenheit ausgeführte Innere kündete von der wirtschaftlichen Prosperität jener Jahre.
Flure von erhabener Breite
Es gab viel Platz. Für viele großzügig geschnittene Einzelbüros, in denen es sich gut arbeiten oder gelegentlich Arbeit gut simulieren ließ. Die Flure waren von erhabener Breite – ein Angebot, sich aus dem Weg zu gehen oder sich zum Gespräch zu treffen. Jedes Ressort hatte sein eigenes Stockwerk, im einen waren die Türen meist offen, im anderen eher geschlossen. Kenner des Hauses hätten vermutlich allein an der Geräuschkulisse erkennen können, wo sie sich gerade befanden.
Wenn nicht alles täuscht, herrschte in der Hellerhofstraße zum Abschied von dem Haus, das zum Geist der Zeitung so gut passte, eine stille Wehmut. Kein Vergleich mit dem Aufruhr in der „Süddeutschen Zeitung“, als sie im Jahr 2008 aus dem Stammsitz in der Münchner Innenstadt in ein Hochhaus in einem Gewerbegebiet am Stadtrand umziehen musste. Mit grimmiger Zustimmung lauschte die trauernde Redaktion den Worten des damaligen Oberbürgermeister Christian Ude: „Wer aus der Sendlinger Straße, dieser geschichtsträchtigen 1-a-Lage, nach Steinhausen, also in ein städtebauliches Wildschweingehege umzieht, muss ein ziemlicher Depp sein.“
Die Redaktion der F.A.Z. – derzeit in einer nicht unregierbaren, aber unregierten Stadt daheim – hat es viel besser. Sie kommt im Europaviertel unter, in einem Hochhaus, von dem aus man den Stadtrand sehen kann. Mit dem quirligen und noch nicht vollends gentrifizierten Gallusviertel, zu dem die F.A.Z. nur für voreingenommene Betrachter nicht zu passen schien, kann das Neubaugebiet noch nicht mithalten. Es kann mehr Leben durchaus vertragen. Die Redaktion wird sich Mühe geben, dafür zu sorgen.