
Neuer Herausgeber bei Eichborn : Enzensbergers Erbe verpflichtet
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Es ist nicht der erste Wechsel an der Spitze jener Buchreihe, die schon bei ihrer Gründung vor 25 Jahren alles anders machte. Dennoch überraschend folgt jetzt Christian Döring als Herausgeber der „Anderen Bibliothek“ Michael Naumann und Klaus Harpprecht.
Manchmal sind flüchtige Leser im Vorteil. Wer im vergangenen Juni im Brachenblatt „Buchmarkt“ eine Meldung zur feinen „Anderen Bibliothek“ nicht sorgfältig genug gelesen hatte, war den Ereignissen auf einmal um ein halbes Jahr voraus: „Im Zuge der weiteren Umgestaltung des Eichborn Verlags“, so las man da, „wird Christian Döring, selbständiger Lektor und Journalist, ab 1. Juli Herausgeber der Anderen Bibliothek“ – nein, natürlich stand da, Döring werde „die Herausgeber“, nämlich Michael Naumann und Klaus Harpprecht, „inhaltlich beraten“.
Gestern gab Eichborn bekannt, dass man künftig auf Naumann und Harpprecht verzichten wolle, zugunsten von Döring. Es ist nicht der erste Wechsel an der Spitze jener Buchreihe, die schon bei ihrer Gründung vor 25 Jahren durch Hans Magnus Enzensberger alles anders machte und daher nie zeitgemäß wirkte, die gepriesen und geliebt, zeitweilig zu wenig gekauft und daher als verlegerisches Modell mitunter schon totgesagt wurde, um solche Ansichten ständig mit Überraschungserfolgen zu widerlegen – zuletzt etwa mit Reinhard Kaisers großer Grimmelshausen-Edition, deren Erstausgabe angeblich nach gerade zehn Tagen vergriffen war.
Zu wenig entdeckt
Anderes blieb wie Blei liegen, und weil der Verlag in seiner Presse-Erklärung zur Trennung zwar nur lobende Worte für die Herausgeber findet, als Grund dafür, den Vertrag nicht zu verlängern etwas nebulös vom „21. Jahrhundert“ raunt, in das es die Buchreihe zu überführen gelte, kann man sich fragen, ob man nicht einfach das Herausgeberhonorar sparen wollte, das jährlich im hohen fünfstelligen Bereich liegt.
Und während Harpprecht und Naumann nun über ihren bisherigen Verleger und „den mysteriösen Herrn“ schimpfen, der sie künftig ersetzt, bringt dieser eine langjährige Berufspraxis als Lektor bei DuMont und Suhrkamp, als ausgewiesener Lyrik-Experte und als Juror wichtiger Literaturpreise mit. Und wird, wie jeder vor ihm auf diesem Posten, am übergroßen Erbe Enzensbergers gemessen werden. Dem haben sich auch Harpprecht und Naumann gestellt, indem sie weitere der für die Reihenkalkulation offenbar unerlässlichen bibliophilen Großbände herausgaben oder das Zeitalter der Spätaufklärung von allen Seiten beleuchteten. Eines aber ist ihnen nicht gelungen: Sie haben keinen Ransmayr, keinen Schrott, keinen Sebald entdeckt. Und nicht zuletzt dafür wird die „Andere Bibliothek“ verehrt.
