Nach den Gipfeltagen : Die Schönheit der Chance
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Ausblick auf eine misslingende Zukunft: Der Gipfel in Cannes zwischen Absperrungen und fehlenden Menschen Bild: Fedephoto/StudioX
Die Zahlen sagen nichts. Wir müssen selbst herausfinden, wie es nach der Katastrophe weitergeht. Den Politikern, zeigte der Gipfel in Cannes, sollte man das besser nicht allein überlassen.
Da standen sie im Regen, die beiden, die doch seit drei Jahren kaum etwas anderes tun, als Rettungsschirme aufzuspannen. Es war das Ende eines elenden Gipfels, von den Großen Zwanzig waren achtzehn schon weg, nur Obama und Sarkozy waren noch geblieben und standen nun da wie begossene Präsidentenpudel. Bejubelt wurden sie von der einzigen Bevölkerungsgruppe, die sich im novembrigen Cannes auftreiben lässt: Rüstige Rentnerinnen, die immerhin ihre Frisur mit durchsichtigen Plastikhauben zu schützen verstanden. So eine Duschhaube hätte man den beiden noch um den Kopf binden sollen, dann wäre restlos alles klar gewesen.
Cannes in den Gipfeltagen, das war der Ausblick auf eine misslingende europäische Zukunft. Es war nicht nur das Wetter. Es waren die Absperrungen, die winterlich entvölkerten Ferienquartiere, die Abwesenheit von Jugendlichen, Familien, all jenen Bevölkerungsgruppen, die sich das Leben in solchen Innenstädten gar nicht mehr leisten können. Die Läden des täglichen Bedarfs hatten geschlossen, lediglich die Luxusboutiquen waren geöffnet, in denen sich die Verkäuferinnen beim Warten auf konsumfreudige Delegierte aus Saudi-Arabien langweilten.
Die Horrorversion
Davor schlichen betagte Anwohnerinnen eingeschüchtert über die Bürgersteige, man hörte nur das leise Klappern der weißen Zugangsberechtigungskarte, die alle Bürger der Innenstadt stets gut sichtbar um den Hals zu tragen hatten. Es war die Horrorvision einer europäischen Stadt als überalterter, entvölkerter Einkaufsmöglichkeit für die Superreichen der undemokratischen prosperierenden Teile der Welt. Eine friedliche, französische Provinzstadt in solch eine Fratze zu verwandeln, ihr alle guten, alteuropäischen Geister auszutreiben, das muss man erst einmal schaffen. Selbst den Strand hatten sie gesperrt. Ab und zu sah man Kampftaucher und in der Ferne ein Kriegsschiff, auf der Lauer vor der Rache der griechischen Flotte sicherlich.
Griechenland also. Dass das Geburtsland der Demokratie so weit sinken würde, seine Bürger abstimmen zu lassen, darauf war niemand vorbereitet gewesen. Bald schon galt das als die Heldentat und der Gipfel vom Gipfel: wie Papandreou deswegen geschimpft bekam. Ganz vergessen wurde darüber, dass er in den letzten drei Jahren so gespart hat, wie wir es uns seit Jahrzehnten nicht trauen, dass er noch vor wenigen Tagen ein Held der Haushaltskonsolidierung war. Doch Gipfelpolitik ist volatil, das liegt auch an den Hunderten von Journalisten, die manisch in ihren Legebatterien umherflattern und produzieren müssen, ohne mal nachdenken zu können.
Die Atemlosigkeit einer Politik, die ständig die Apokalypse abwenden muss, die morgen schon droht, sorgt für eine affirmative Berichterstattung. Immer mehr Nachrichtenformate werden von immer weniger Journalisten gefüllt, so dass sie immer nur reagieren können. Denn schon braut sich die nächste Katastrophe zusammen, die politische und ökonomische Sondermaßnahmen erfordert, denen gemein ist, dass sie auf demokratische Erörterung und Legitimation keine Zeit vergeuden können. Es ist, als führe Europa gerade ein Stück auf, eine Fassung von Naomi Kleins „Schock-Doktrin“ für Amateur- und Gipfelschauspieler: Der Kapitalismus nutzt die Chancen der von ihm selbst geschaffenen Katastrophen. Griechenland also, aber was kommt dann?