Mordprozess gegen Verena Becker : Woran erkennt man eine Frau?
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Physiognomisch schwer einzuordnen: Verena Becker Bild: dapd
Saß Verena Becker auf dem Motorrad, von dem das RAF-Attentat auf Siegfried Buback begangen wurde? Aussagen der Belastungszeugen können den Verdacht nicht erhärten. Die Verhandlung um andere Formen der Mittäterschaft steht noch an.
Rechtsanwalt Michael Euler, der die frühere RAF-Terroristin Verena Becker im Stuttgarter Mordprozess verteidigt, sagte an einem der fast vierzig bisherigen Verhandlungstage: „Die Bewertung der Aussage liegt nicht bei uns, sondern bei den Richtern - das ist ja das Schlimme!“ Der erfahrene Jurist dürfte diese schelmische Bewertung inzwischen gedanklich relativiert haben. Eine richterliche Bewertung, die seine Mandantin zur Todesschützin erklären würde, ist derzeit nämlich kaum denkbar.
Am Gründonnerstag 1977 wurden in Karlsruhe bei einem Ampelhalt Generalbundesanwalt Siegfried Buback, sein Fahrer Wolfgang Göbel und der Justizbeamte Georg Wurster von RAF-Terroristen gezielt erschossen. Wegen dieses ersten politisch motivierten Attentats der deutschen Nachkriegsgeschichte wurden Knut Folkerts, Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt über die juristische Hilfskonstruktion der mittelbaren Mittäterschaft verurteilt. Wer den Finger am Abzug hatte, ist bis heute nicht geklärt. Bubacks Sohn Michael, sein Bruder Horst, der sich nie öffentlich geäußert hat und vor Gericht nicht erscheint, und die schwerstkranke Witwe Inge Buback sind Nebenkläger in einem Strafprozess vor dem Staatsschutzsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts, in dem Verena Becker die einzige Angeklagte ist. Michael Buback hat sie nach privaten Ermittlungen als Todesschützin bezeichnet. Außerdem behauptet er, über diese Angeklagte sei „eine schützende Hand“ gehalten worden, weil sie für den Verfassungsschutz tätig gewesen sei.
Schwierigkeiten der geschlechtlichen Identifikation
Seit September 2010 verhandeln die Richter. Die Beweisaufnahme ist abgeschlossen. Auch die von Michael Buback benannten Zeugen sind geladen worden. Durch sie wollte Buback beweisen, dass Verena Becker auf dem Beifahrersitz des Motorrades gesessen habe, von dem aus die drei Morde begangen wurden. Diese Aussagen waren mit Spannung erwartet worden und haben enttäuscht. 28 Zeugen konnten verständlicherweise nicht sagen, welches Geschlecht die in Motorraddress und Integralhelm gekleidete Person hatte.
Drei Zeugen legten sich darauf fest, es sei ein Mann gewesen, sechs meinten das Gegenteil, darunter Michael Bubacks wichtigste Augenzeugin. Sie erklärte auf Fragen des Gerichts, sie habe selbst aus mehr als fünfzig Metern Entfernung eine Frau erkennen können. Das mache sie an der Länge des Oberschenkels der Person fest. Diese Aussage führte zu großer Heiterkeit im Gerichtssaal. Bubacks Rechtsanwalt Ulrich Endres war genau an jenem Tag nicht erschienen, an dem die Hauptzeugin seines Mandanten auftrat. Als Vertreterin der Anklage nahm Oberstaatsanwältin Silke Ritzert die Zeugin ernst und bat darum, ihr die Formel zu nennen, nach der sie ihre Geschlechtsbestimmung vorgenommen habe. Sie erhielt keine Antwort.
In der Rechtsmedizin gibt es eine Formel, nach der man anhand eines Oberschenkelknochens das Geschlecht bestimmen kann. Allerdings ist das nur möglich, wenn dem Fachmann der Knochen direkt vorgelegt wird, und selbst dann nur mit geringer Wahrscheinlichkeit. Bekleidet sein darf der Knochen nicht und sich bewegen schon gar nicht. Die anderen Zeugen, welche eine Frau auf dem Beifahrersitz des Tatmotorrads erkannt haben wollen, erklärten, sie machten das an den weiblichen Körperformen der Person fest, welche sie trotz Motorradkleidung erkannt hätten. Ein Zeuge sagte, „der Po“ habe ihm den Beweis geliefert, andere verwiesen auf „die runden Hüften“, ein Mann malte birnenförmige Schlangenlinien in die Luft, um seine Aussage zu unterstützen.