
Missbrauchsprozess in Münster : Presseschikane
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Ein Polizeibeamter vor der Gartenlaube, die in dem nun in Münster verhandelten Fall massiven Kindesmissbrauchs als Tatort gilt. Bild: dpa
Vor dem Landgericht Münster wird einer der größten Missbrauchsfälle verhandelt. Die Presse schließt der Vorsitzende Richter dabei weitgehend aus. Ist das Unvermögen oder Absicht?
In einem der aktuell größten deutschen Missbrauchskomplexe beginnt am Donnerstag in Münster die Hauptverhandlung gegen den wichtigsten Beschuldigten: Der 27 Jahre alte Adrian V. soll seinen Ziehsohn nicht nur unzählige Male selbst vergewaltigt und Aufnahmen der Verbrechen in Internetforen geteilt, sondern das Kind auch regelmäßig anderen Pädokriminellen zugeführt haben.
Drei von ihnen müssen sich nun ebenfalls verantworten, zudem die Mutter von Adrian V., die wegen Beihilfe angeklagt ist. Das öffentliche Interesse daran, wie der Rechtsstaat das mutmaßliche Verbrechernetz zur Rechenschaft zieht, ist auch überregional groß. Doch die Allgemeinheit wird sich über den Prozess nur sehr eingeschränkt informieren können.
Dafür gibt es einerseits einen sehr wichtigen Grund: Der Opferschutz gebietet es, die Öffentlichkeit für weite Teile der Hauptverhandlung auszuschließen. Andererseits aber erschwert das Landgericht unter Verweis auf die Corona-Pandemie den Zugang zu dem Verfahren in ungerechtfertigter Weise.
Nur fünf Journalisten konnten sich im Windhundverfahren vorab akkreditieren, lediglich einen Platz sah das Kontingent der Kammer für überregionale Tageszeitungen vor. Ihn hat die „Bild“ ergattert, deren Kollege nicht nur als Print-Journalist dabei sein kann, sondern zum Auftakt zusätzlich Videoaufnahmen und schließlich in seiner dritten Rolle als Fotograf auch noch Fotoaufnahmen machen darf. Während die multimedialen Möglichkeiten der „Bild“ also vollumfänglich gesichert sind, gingen „Süddeutsche Zeitung“ und auch die F.A.Z. leer aus.
Als das Landgericht die Medien in der vergangenen Woche über die Akkreditierungsmodalitäten in Kenntnis setzte, wies es auf den möglichen Ausschluss der Öffentlichkeit noch vor Verlesung der Anklage hin – frei nach dem Motto: „Gehen Sie weiter, hier gibt’s es eh nichts zu berichten!“ Abgesehen davon, dass ein Gericht nicht dafür da ist, Medien zu vergrämen, ist gerade der Auftakt eines Verfahrens für Prozessbeobachter wichtig. Wie präsentieren sich die Angeklagten? Machen sie vielleicht (erste) Angaben zur Person?
Eine Notlösung wäre, wenigstens den Ton aus dem Sitzungssaal für Journalisten in einen anderen Raum zu übertragen. Diese Option für den Umgang mit Platzknappheit hat der Gesetzgeber 2018 ausdrücklich geregelt. Beim Missbrauchsverfahren im Fall „Bergisch Gladbach“ im Sommer verfuhr das Landgericht Köln so und brachte damit den Grundsatz der Öffentlichkeit und die Corona-Notwendigkeiten unter einen Hut.
Hat die Kammer in Münster das auch erwogen? Darauf hat der sehr freundliche Pressesprecher des Gerichts leider keine Antwort. Und er muss auch gar keine haben. Denn jede und jeder Vorsitzende einer Kammer der mehr als hundert Landgerichte und jeder Senat der zwei Dutzend Oberlandesgerichte in Deutschland kann im Rahmen der Sitzungsgewalt regeln, wie er oder sie es mit den Medien hält, ohne darüber irgendjemandem eine Erklärung schuldig zu sein. Treffend formulierte die „Süddeutsche“ im August: „Die Grenze zwischen Unvermögen, Unwilligkeit und Schikane ist fließend, als hofften manche Gerichte insgeheim, dass die Reporter vielleicht endlich aufgeben.“