Wahlsiegerin Merkel : Der Erfolg der anderen ist auch ihr Erfolg
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Trotz schlechter Wahlergebnisse hat sie Grund zur Freude: Der Erfolg der anderen kann auch als Merkel-Erfolg verstanden werden. Bild: AFP
Angela Merkel ist stärker als ihre Politik. Dank ihrer erfolgreichen Avatare aus SPD und Grüne kann sie mit den Wahlergebnissen zufrieden sein.
Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs Ministerpräsident, hielt gestern eine Klarstellung für geboten. „Bei aller Bescheidenheit“, so sagte er, sei im Wahlergebnis doch das Vertrauen in seine Amtsführung und seinen Regierungsstil sichtbar geworden; von diesem Vertrauen in seine Person leite er seine Rolle bei der jetzt anstehenden Regierungsbildung ab. Warum diese doch eigentlich völlig unnötige Machtbehauptung im Gewand der Demutsgeste? Versteht sich Kretschmanns Megaerfolg nicht von selbst?
Gewiss gilt es, pausbäckige Begehrlichkeiten möglicher Koalitionspartner zu dämpfen. Aber Kretschmann will zumal die Lesart zügeln, er sei auch als Merkels Avatar, als ihr künstlicher Doppelgänger, am Wahlabend so erfolgreich gewesen. Mit derselben Lesart hat es nach ihrem Wahlerfolg auch Malu Dreyer in Mainz zu tun. Viele Wähler hätten demnach Merkels Flüchtlingspolitik bei Kretschmann und Dreyer in besseren Händen gesehen als in Merkels Partei, der CDU. Die eigentliche Pointe des Wahlsonntags wäre demnach, dass die Personalisierung von Politik nun auch über Parteigrenzen hinweg greift. Als dreigliedrige Faustregel würde gelten: Wer nicht gegen die Kanzlerin war, war für sie; gegen die Kanzlerin stimmte man nur mit einem Votum für die AfD qua Sammelbecken der beinharten Merkel-Gegner; wer nicht AfD wählte, wählte Merkel, in welchem Gesicht auch immer.
Die Avatare der Angela Merkel
Was ist dran an dieser Spekulation? Sowohl Dreyer als auch Kretschmann haben im Wahlkampf aktiv für Merkels Flüchtlingskurs Stellung bezogen und die Kanzlerin vor ihren (unionsinternen und europäischen) Gegnern in Schutz genommen. Kretschmann hatte gefragt, wer außer Merkel den europäischen Laden denn zusammenhalten könne. Und mit einer unnachahmlichen Vereinnahmungsgeste hinzugefügt: „Deshalb bete ich jeden Tag dafür, dass die Bundeskanzlerin gesund bleibt.“ (Merkel hielt es daraufhin für nötig, sich als Original explizit gegenüber der Kopie Kretschmann abzusetzen und die Leute aufzufordern, Union zu wählen.)
Dreyer wiederum verteidigte Merkel mit Unschuldsmiene gegen die A2-Absetzbewegung Julia Klöckners. Dreyer sagte Sätze wie diese: „Frau Merkel ist dringend auf Erfolg angewiesen. Sie muss endlich eine Einigung mit unseren europäischen Partnern finden. Ich wünsche mir, dass ihr das gelingt.“ Warum sollte es die Leistungen von Dreyer und Kretschmann mindern, wenn man sie in der Flüchtlingsfrage auch als Merkels Avatare begreift?
Der Flüchtling hat sich von der konkreten Flüchtlingspolitik längst gelöst und ist in die zivilreligiöse Substanz Deutschlands eingegangen. Das haben Dreyer und Kretschmann früher und genauer erfasst als Merkels Parteisoldaten, die den Flüchtling nie anders denn als Spielball im Gezänk der Parteien- und EU-Politik auffassten, vom CSU-Grobianismus nicht zu reden. Merkels „Wir schaffen das“ war von Anfang an der Versuch, Deutschland repetitiv auf eine neue zivilreligiöse Formel einzuschwören. In ihr öffnet sich das Land der globalen Not und gewinnt - Not wendend - eine nationale Notwendigkeit, die zuletzt in der Euro-Krise moralisch verschlissen schien.
Die Frage des Kurses
Nun wurde mit der gebotenen Unschärfe, die zivilreligiöse Bestände auszeichnet, ein neuer deutscher Minimalkonsens propagiert, der als solcher unterstellbar und herausstellbar sein sollte - auch wenn die konkrete Politik ihn längst konterkariert hatte. Merkel zehrte ja auch dann noch vom Narrativ des freundlichen Gesichts, als ihr Steuer asylpolitisch schon seit längerem in Richtung Abschreckung herumgeworfen war und andere Länder für uns die hässlichen Bilder ausbadeten. Dreyer und Kretschmann hatten, indem sie diesen Widerspruch gnädig zudeckten, auf ihre Art zu verstehen gegeben: Der zivilreligiöse Mythos schwebt nicht nur über den Parteien. Er schwebt auch über der Politik selbst, ist den politischen Abwägungsprozessen vorgeordnet. Und die Wähler der beiden Merkel-Avatare haben es prämiert.
„Die Bundesregierung verfolgt ihren flüchtlingspolitischen Kurs weiterhin mit aller Kraft“, erklärte gestern der Regierungssprecher - als wäre dieser Kurs politisch nicht längst korrigiert, nachgerade ins Gegenteil verkehrt worden. Der Kurs hat Bestand nurmehr als ein ideeller, zivilreligiöser. Als solcher kann er nicht abgewählt werden. Das aber heißt: Merkel gewinnt, auch wenn sie verliert.