Bibliothekar Michael Knoche : In den Pulvertürmen des Denkens
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Michael Knoche am Treppenaufgang im Rokkoko Saal der Anna Amalia Bilbliothek Bild: Rainer Wohlfahrt
Ein Weimarer Bibliothekar von besonderem Format: Michael Knoche zum siebzigsten Geburtstag.
„Die Bibliothekare haben viel zu lange unter sich debattiert. Es ist höchste Zeit, dass über Bibliotheken wieder öffentlich gesprochen wird.“ Michael Knoche hat diese Forderung nicht nur erhoben, sondern ihr selbst Folge geleistet. Seine Schrift über „Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft“ (2018) ist die beste Grundlage für ein solches Gespräch, denn sie fasst in konzentrierter Form zusammen, was zurzeit über die Bibliotheken und ihre Situation zu sagen ist: Ihre Vergangenheit ist groß, ihre Geschichte glorreich, ihre Gegenwart von gewaltigen Umbrüchen gezeichnet, ihre Zukunft ungewiss. Bei Knoche kann man erfahren, welche Weichenstellungen und welche politischen Strategien jetzt nötig sind, damit die Bibliothekslandschaft ihren zentralen Aufgaben auch künftig gerecht zu werden vermag. Laut Knoche sind dies die Verantwortung für die Verfügbarkeit von Veröffentlichungen und die Auskunft über den jeweils erreichten Stand der Erkenntnis.
Die Bibliotheken in Deutschland verzeichnen ungeheuren Zulauf: 220 Millionen Besucher waren es im Jahr 2015, also mehr, als Museen, Kinos oder Bundesligastadien für sich verbuchen können. Obwohl angeblich immer weniger gelesen wird, steigen die Nutzerzahlen kontinuierlich an. Als Knoche 1991 nach Weimar kam, war sein neuer Arbeitsplatz die meiste Zeit über verschlossen wie eine Auster. Etwaige Besucher wurden mit einem Zettel an der Tür abgespeist: „Nachfragen zwecklos“. Innerhalb weniger Jahre sollte Knoche aus der „Zentralbibliothek der deutschen Klassik“, wie die heutige Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek damals noch hieß, eine moderne Forschungseinrichtung machen. Als 2005 der Kubus des neuen Studienzentrums eröffnet wurde, hatte Knoche wichtige Etappenziele erreicht. Das historische Profil der Bibliothek war wieder erkennbar, die Eingliederung der 1691 begründeten Institution in die internationale Bibliothekslandschaft geglückt. Aber ein Jahr zuvor hatte eine Katastrophe Weimar erschüttert. Am Abend des 2. September 2004 um 20.29 Uhr erreichte den Bibliothekar der Anruf eines Mitarbeiters: „Die Bibliothek brennt. Ich weiß nicht, ob Sie kommen wollen.“
Er rettete Bücher aus dem brennenden Gebäude
Was danach geschah, ist oft beschrieben worden, auch von Knoche selbst. Der Brand der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek war mehr als nur der schwerste Bibliotheksbrand der Nachkriegszeit, es war, wie Durs Grünbein gesagt hat, „ein Weltenbrand, wenn auch im Kleinen nur“. Knoche wurde nach der Brandnacht, in der er unter Einsatz seines Lebens kostbarste Bücher, darunter eine Lutherbibel, aus dem brennenden und vom Einsturz bedrohten Gebäude gerettet hatte, zu einer Berühmtheit. Er nutzte den Ruhm, um Geld für die Bibliothekssanierung einzutreiben. Am Ende beliefen sich die Kosten auf etwa dreizehn Millionen Euro. Buchstäblich aus aller Welt gingen Spenden ein. Man kann das nachlesen in seinem 2006 erschienenen Buch „Die Bibliothek brennt. Ein Bericht aus Weimar“. Die Lektüre lohnt sich.
Geboren wurde Knoche im nordrhein-westfälischen Werdohl, das Studium absolvierte er in Tübingen, die Ausbildung für den höheren Bibliotheksdienst in Karlsruhe und Köln. Die Dissertation galt dem Thema „Volksliteratur und Volksschriftenvereine im Vormärz“, die Zahl der Bücher, Aufsätze, Essays und Rezensionen, die ihr folgten, ist beeindruckend. Knoche weiß freundliche Zurückhaltung mit Weitblick und zielstrebiger Beharrlichkeit zu verbinden. Ironie ist ihm dabei keineswegs fremd. Einer der zahlreichen Bände, die er als Herausgeber betreut hat, gilt dem Umgang Nietzsches mit Büchern sowie dem Umgang mit Nietzsches Büchern. Sein Titel: „Zur unterirdischen Wirkung von Dynamit“. Bibliotheken dienen vielen Zwecken. Nicht zuletzt sind sie Pulvertürme und Munitionsdepots des Denkens.. Es ist gut, die Schlüssel dazu in den Händen eines Bibliothekars vom Format Michael Knoches zu wissen. Heute wird er siebzig Jahre alt.