„Ku’damm 59“ im ZDF : Die Fünfziger sind auch nicht mehr, was sie mal waren
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Im Blitzlichtgewitter: Monika Schöllack (Sonja Gerhardt) macht Karriere beim Film. Aber das hat seinen Preis. Bild: ZDF und Tobias Schult
Aus „Ku’damm 56“ wird im ZDF „Ku’damm 59“. Statt Nachkriegshistorie zu schreiben, schwenkt das Tanzepos nun auf das große Liebesfinale zu: Alles Revolutionäre ist weg – und Kitsch triumphiert.
Kurioses vom Ku'damm. Im Radio der Tanzschule „Galant“ läuft Reklame für eine bekannte „Bräuteschule“. Auf die richtige Hingabe unvorbereitet sollte kein deutsches Fräulein in die Ehe gehen, tönt es aus dem Empfänger. Gelehrt werden Kernkompetenzen, etwa der Umgang mit Herrenhemden und Säuglingspflege, denn dem deutschen Familienvorstand stehen Bequemlichkeit und Ungestörtheit zu. Stand der Frauenselbstbestimmung Ende der Fünfziger: Ohne seine Einwilligung darf eine Ehefrau kein Konto eröffnen, keine Wohnung mieten oder einen Beruf ausüben, trotz theoretischer Gleichberechtigung, für die sich die (wenigen) Mütter des Grundgesetzes starkgemacht haben.
Die Repatriarchalisierung der westdeutschen Gesellschaft gedeiht auf dem Boden der Verdrängung des Krieges. Es gilt das Primat des Wirtschaftswunders. Zukunft als verlängerte und neu definierte Repression: Verweigert der Mann die Bezahlung, wie Psychiatrie-Professor Jürgen Fassbender (Heino Ferch) seiner Frau Eva (Emilia Schüle), kann sie keinen Führerschein machen. Wie eine steife Puppe liegt sie im Bett, wenn er sein Bedürfnis an ihr stillt. Beruflich hält der Professor Vorträge über die Nutzlosigkeit des weiblichen Orgasmus für die Fortpflanzung; privat quält er sie mit besitzergreifender Eifersucht. Nachdem sie ihn verlassen hat, empfängt sie Männer für ihren Lebensunterhalt.
Fassadenglück und Lebenslügen
Kinder müssen parieren, sonst spricht der Kochlöffel. Wer fortschrittlich denkt, schlägt auf den Po und nicht mit der flachen Hand ins Gesicht, das ist weniger auffällig. Helga Schöllack, verheiratete von Boost (Maria Ehrich), erstarrtes Musterbild einer zeitgenössischen Gattin, hält sich an die Empfehlungen des Kinderarztes. Die Bühne ihres falschen Familienglücks ist eine nüchterne Architektenvilla, die den Status der ehelichen Beziehung spiegelt. Reines Fassadenglück. Ihr Mann Wolfgang von Boost (August Wittgenstein), etablierter Staatsanwalt, sucht nachts heimlichen Sex an bekannten Homosexuellentreffpunkten, verliebt sich in den Ost-Berliner Anwalt Hans Liebknecht (Andreas Pietschmann). Auch Wolfgang bleibt Selbstbestimmung verwehrt.
Lauter Lebenslügen. Das adrette Kind beider, Dorli von Boost (Alma und Smilla Löhr) ist eigentlich die Tochter von Monika Schöllack (Sonja Gerhardt), deren Mutter Caterina (Claudia Michelsen) die hochschwangere Ledige zwei Jahre zuvor von der Schwelle gewiesen hat. Als „Bühnenkünstlerin“ verliert Monika vor Gericht das Sorgerecht wegen „Unreife“ an ihre noch immer unberührte Schwester.
Die Frauenfiguren treten auf der Stelle
Wo im ersten Teil des Tanzschulepos „Ku'damm 56“ mitreißender Rock'n'Roll den Ausbruch aus Korsett und Konvention auch als Metapher feierte, deprimiert in der Fortsetzung nun Restauration und Fassadenmalerei auf ganzer Linie. Im galanten Stechschritt einmal retour: Caterina Schöllack hält sich zwar nach wie vor militärisch kerzengerade, muss aber in „Ku'damm 59“ zusehen, wie ihre auf Anpassung in der Ehe gedrillten Töchter unglücklich werden und nur ihr ungehorsames Skandalkind Monika erst Karriere macht und dann auch die Jagd nach dem Lebensglück mit dem richtigen Mann in einer Patchworkbeziehung forciert.
Dass nicht wenige der Frauenfiguren von Annette Hess in der Fortsetzung auf der Stelle treten, entspricht der vermittelten Zeitstimmung. Annette Hess gelingt abermals die Verbindung von sinnlichem Zeitpanorama und anschaulicher Mentalitätsgeschichte. Der Regisseur Sven Bohse setzt das detailberstende Buch episch cinemascopisch um. Ausstattung (Axel Nocker) und Kamera (Michael Schreitel) setzen auf nostalgische Schauwerte.
Leider schwenkt „Ku'damm 59“ statt Nachkriegshistorie zu schreiben, aufs rührende Melodram und große Liebesfinale um. Vorzugsweise in der Natur wird in großen Gefühlen geschwelgt. Monika, der karrieremäßig fremdbestimmte Schlagerstar, findet zum Blues die weibliche Stimme. Joachim, der Rüstungserbe, dem die historische Bußfertigkeit aus dem Rollkragenpullover schaut - lange dürfen die Königskinder zueinander nicht finden. Umstände und Intrigen verhindern ihr Glück. Kitsch als Gegenbild zur Restauration - das muss einem erst einmal einfallen. In der Darstellung der Filmunterhaltungsindustrie gelingt Annette Hess dagegen ein entlarvendes Äquivalent zur Tanzbegeisterung des ersten Dreiteilers. Mit Kurt Moser (Ulrich Noethen) rückt ein sexuell übergriffiger Regisseurschmierlappen in eine zentrale Rolle, der wie ein gelungener Kommentar zur #MeToo-Debatte wirkt. Für das ZDF sind die nun sechs Teile vom „Ku'damm“ ein großer Wurf. Man fragt sich aber doch, wie die Dramaturgie gewesen wäre, hätte Annette Hess, Autorin auch von „Weissensee“, das Ganze wie ursprünglich geplant als Serie geschrieben.