„Bring mich nach Hause“ im ZDF : Darf Mutter in Frieden sterben?
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Erste Hilfe – und dann? Ulrike (Silke Bodenbender) ist gefragt: Szene aus dem Fernsehfilm „Bring mich nach Hause“. Bild: ZDF und Hannes Hubach
Der Film „Bring mich nach Hause“ stellt die Frage, wo die Grenzen moderner Medizin liegen und wann ein Mensch sterben darf. Es hätte vielleicht ein guter Film werden können.
Wenn Martina Hartwig (Hedi Kriegeskotte) an diesem Tag wenig länger mit ihrer plötzlichen Gehirnblutung auf dem Küchenboden gelegen hätte, wäre sie gestorben. Wenn ihre Tochter, die Religionslehrerin Ulrike (Silke Bodenbender), einige Minuten früher zu ihrem Termin aufgebrochen wäre, wäre Martina Hartwig gestorben. Wenn sie im Krankenhaus keine Ernährungssonde gelegt bekommen hätte, wäre sie gestorben, und wenn sie eine schriftliche Patientenverfügung gehabt hätte und nicht nur eine Vorsorgevollmacht, wäre sie auch gestorben.
Eine Wachkomaexistenz mit schwerer Gehirnschädigung, am Leben erhalten durch Maschinen, das hätte sie nicht gewollt, sagt der Hausarzt. Doch Schriftliches fehlt. Selbst später, als sie im katholischen Pflegeheim mit dem menschenfreundlichen Ruf verfällt und Druckgeschwüre bekommt, wäre sie von selbst gestorben, als ihr Atem aussetzte, wäre sie nicht mit Macht zurückgeholt worden.
Viele Chancen auf einen sozusagen natürlichen Abschied enthält dieser Film – sowie einen fundamentalen Streit darüber, was geschuldete Würde im konkreten Fall bedeutet. Leider enthält „Bring mich nach Hause“ (ZDF) aber noch eine Menge – Seltsames – mehr. Er hätte vielleicht ein guter Film werden können, wenn er den ersten Ansatz konsequent zugespitzt hätte. Mit Bodenbender und Anneke Kim Sarnau, die Ulrikes Schwester, die Astrophysikerin Sandra, spielt, gibt es hier zwei Schauspielerinnen, die wahrscheinlich noch die abgehobenste Meditation über den menschlichen Tod mit einer Lebendigkeit gestalten können, die zum Nachdenken anregt.
Trotzdem ist „Bring mich nach Hause“ ein problematischer Film. Denn Britta Stöckle (Drehbuch) und Christiane Balthasar (Regie) sowie die nur am intensivmedizinischen Bett der Mutter nicht beliebig wirkende Kamera von Hannes Hubach reicht die Debatte zu qualvoller Übertherapie, fehlender Nachweisbarkeit des Patientenwillens, die rechtliche Lage bei Entfernung einer Ernährungssonde sowie die emotionale und moralische Dimension dieser Geschichte nicht. Der Film ist ein Vehikel der Abrechnung mit selbstgerechter Gottgefälligkeit, sprich Bigotterie, die das Leid der Anderen als Ausweis besonderer Gnadenerfahrung verlängert. Beide Schwestern, die christliche Ulrike und die atheistische Sandra, in die Auseinandersetzung mit dem möglichen Willen ihrer Mutter zu bringen hätte mehr als gereicht. So aber wird Problemniveau auf Problemniveau getürmt Die Schärfe der fiktional lediglich aufbereiteten Argumente verschwimmt im Kontext des ethischen Rundumschlag.
Schon die Figurenzeichnung der Schwestern, obwohl von Bodenbender furios und von Sarnau anrührend gespielt, ist ein selten plumper Griff in die Gemeinplatzkiste. Ulrike lehrt, den Altar ihrer Kirche fest im Blick, Kitakinder Bibelgrundlagen: Was passiert, ist das, was gottgefällig ist, nicht reinpfuschen, Amen. Auch ihr Mann ist im Dienst einer höheren Rechtfertigung tätig. Man hat Kinder (später, in einer rein auf Effekt setzenden Szene, tut Kindermund die Wahrheit über Omas Leiden kund und lässt bei Ulrike alle Dämme brechen). Sandra dagegen ist Karrierewissenschaftlerin, als professionelle Sternenguckerin in einem leeren Himmel unterwegs und auf dem Sprung in ein Großprojekt, als die Mutter ins Koma fällt. Sie ist innerlich wie äußerlich aller Bindungen ledig, hat eine Affäre mit einem verheirateten Kollegen. Als sie beginnt, sich mehr um die verfallende Mutter zu kümmern, bekommt eine andere die Aufstiegschance, was Sandra augenfällig nicht mehr stört.
Die Auseinandersetzungen um das In-Würde-sterben-Lassen der Mutter, das in diesem Fall eben nicht nur eines durch Unterlassen, sondern auch eines durch die aktive Entfernung der Sonde sein würde, sind im zweiten, empathisch gespielten Teil des Films fast sehenswert. Wäre da nicht das katholische „Pflegeheim aus der Hölle“ mit seiner salbungsvollen Leiterin und einer diabolisch wirkenden Schwester, der horriblen Olga (Berit Künnecke), die sich gegen Ende mit Ulrike und Sandra und Polizei veritable Schlachten am Bett der Mutter liefert. Zum Schluss wird – der Film ist von einem gerichtlich verhandelten Fall inspiriert – juristisch abgerechnet, was informativ ist, aber der Dramaturgie endgültig den Garaus macht. Als relevanten Beitrag zur Wichtigkeit einer Patientenverfügung angesichts der Errungenschaften moderner Apparatemedizin kann man den Film nicht in Bausch und Bogen verdammen. Die Schwächen aber sind eklatant.
Bring mich nach Hause läuft an diesem Montag um 20.15 Uhr im ZDF.