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Xavier Naidoo : Wirres Zeug

Er will nur Frieden – sagt er zumindest, drückt sich dabei aber mehr als missverständlich aus: Xavier Naidoo. Bild: dpa

Nicole konnte es damals besser: Wenn Xavier Naidoo ein bisschen Frieden will, geht das nicht ohne weltanschauliche Kollateralschäden ab.

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          Wir schreiben den 24.April 1982: Auf der Bühne sitzt ein Mädchen mit langem blondem Haar. Es trägt ein weißes Kleid mit blauen Tupfen, hält eine Gitarre und singt: „Ein bisschen Frieden“. Mit diesem Lied gewinnt Nicole den Eurovision Song Contest, der damals noch Grand Prix Eurovision de la Chanson hieß. Im Kalten Krieg ist ganz Europa begeistert vom Vortrag der siebzehnjährigen Abiturientin: „Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sonne für diese Erde, auf der wir wohnen. Ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude und dass die Menschen nicht so oft weinen.“ Damit gewinnt Deutschland den Grand Prix zum ersten Mal, das Lied verkauft sich mehr als fünf Millionen Mal.

          Michael Hanfeld
          verantwortlicher Redakteur für Feuilleton Online und „Medien“.

          Wir schreiben den 3.Dezember 2015: Im Internet erscheint, auf der Facebookseite des Autors, des früheren Burda-Vorstands und CDU-Politikers Jürgen Todenhöfer ein Lied des Popsängers Xavier Naidoo, der singt: „Nie wieder Krieg“. Drei Tage vor dem Beginn des Bundeswehreinsatzes gegen die Terrormiliz IS in Syrien wird der Song millionenfach angeklickt.

          Liebe Freunde, Xavier Naidoo hat mir gestern dieses ergreifende, noch unveröffentlichte Lied geschickt: 'NIE MEHR KRIEG!' Wir posten es heute gemeinsam hier auf Facebook. DENN WIR SIND GEGEN KRIEG! Bitte helft mit, diese Botschaft zu verbreiten.Morgen entscheidet der Bundestag über den Krieg in Syrien. Aber nicht wirklich um den IS zu bekämpfen. Da gibt es klügere Strategien. Sondern aus Bündnisgründen, Hollande zu Liebe. 14 Jahre lang haben wir mit unseren Bomben nicht einmal die Taliban besiegen können. Beim viel gefährlicheren IS wird die planlose Bombardiererei noch weniger erfolgreich sein. Wir leben im Jahr 2015 – doch unseren Politikern fällt nichts anderes ein als Krieg. Dazu haben wir sie nicht gewählt. Noch mehr Krieg in Syrien beudeutet: Noch mehr Leid, noch mehr Hass, noch mehr tote Zivilisten, noch mehr Terroristen und noch mehr Flüchtlinge. Deshalb protestieren wir. 14 Jahre Antiterrorkrieg sind genug. NIE MEHR KRIEG! Euer JT & Eure Söhne MannheimsFoto: Tyler Hicks

          Posted by Jürgen Todenhöfer on Donnerstag, 3. Dezember 2015

          Zwei Wochen zuvor hatte die ARD angekündigt, Naidoo nehme für Deutschland am Eurovision Song Contest teil. Nach achtundvierzig Stunden jedoch wurde seine Nominierung zurückgezogen, wegen des überbordenden Protests. Warum Naidoo polarisiert und es vielleicht doch keine schlechte Idee ist, ihn nicht zum Eurovision Song Contest zu schicken, das kann man an Naidoos sicherlich gutgemeintem Friedenslied festmachen: Der Mann drückt sich unklar aus, er schwafelt, er lädt zu Missverständnissen ein; er begibt sich in eine Opferrolle, von der man sich fragt, wie sie zustande kommt; er rüttelt an Tabus, die keine sind, und stilisiert sich zum Märtyrer.

          Wer raubt wem einen Platz im Paradies?

          Das beginnt mit der ersten Zeile: „Ich habe gelernt, ich soll für meine Überzeugungen einstehen und meinen Glauben nie leugnen. Warum soll ich jetzt, nach so langer Zeit, davon Abstand nehmen? Dazu bin ich nicht bereit.“ Verlangt in unserem Land irgendwer von irgendwem, seinen Glauben zu verleugnen? Herrscht Religionsverbot? Nach Xavier Naidoos Ansicht offenbar schon, singt er doch: „Muslime tragen den neuen Judenstern. Alles Terroristen, wir haben sie nicht mehr gern.“ Muslime mit dem Judenstern – mit der gedanklichen Gleichsetzung unserer Gegenwart mit dem Holocaust katapultiert sich Naidoo schon endgültig aus dem Kreis ernstzunehmender Zeitgenossen.

          Zwei Zeilen weiter heißt es, „das Schlachtfeld“ sei „schon abgesteckt“ und es sei „schwer zu glauben, doch man will dir deinen Platz im Paradiese rauben“. Was die Frage aufwirft: Wer raubt hier wem einen Platz im Paradies, und meinen die Mörder des IS den nicht gerade durch ihre Verbrechen zu erlangen? „Nie mehr Krieg, nie mehr Krieg“, singt Naidoo unverdrossen, der offenbar fürchtet, diese Botschaft nicht vermitteln zu können: „Wenn wir das nicht sagen dürfen, dann läuft doch etwas schief.“ Hindert ihn in diesem Land jemand daran?

          Er polarisiert, weil er wirr redet

          Und wen meint er hiermit?: „Wer vom Krieg profitiert, ist irritiert, wenn er seinen Propagandakrieg verliert.“ Nichts Genaues weiß man nicht, doch das war bei Naidoo schon früher so, wenn er sich verschwörerisch zu den vermeintlichen Hintergründen des Terrors vom 11.September 2001 oder der vermeintlich von fremdem Mächten immer noch besetzten Bundesrepublik oder vermeintlich nicht schwulenfeindlich äußerte. Er polarisiert nicht, weil er scharfe Provokationen auf Lager hätte, sondern weil er wirr redet.

          „Ich weiß, meine Lieder, die ändern nicht viel, ich bin nur ein Mädchen, das sagt, was es fühlt“, sang Nicole und steckte damit wenigstens den richtigen erzählerischen Rahmen ab. Xavier Naidoo und Jürgen Todenhöfer aber wollen, dass alle helfen, „diese Botschaft zu verbreiten“. Wie lautet die noch mal? Dass Angela Merkel den Krieg schürt und der IS mit seinen Menschheitsverbrechen aufhört, weil Xavier Naidoo so schön singt?

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