Kreml-Indoktrination : Die Propagandisten und ihre Lust an der Lüge
- -Aktualisiert am
Das Bild dürfte er als schmeichelhaft empfinden: Werbeplakat für den russischen Präsidenten Wladimir Putin in St. Petersburg Bild: AP
Kann man in Russland noch kritischen Journalismus gestalten? Oder haben Putins Propagandisten schon auf ganzer Linie gewonnen? Das russische Publikum sollte die Sache selbst in die Hand nehmen.
In der südrussischen Universitätsstadt Woronesch wird, wie in ganz Russland, der Zweite Weltkrieg jeden Tag präsenter. Die Medien schwelgen in den Erinnerungen von Veteranen, Fußgänger und Autofahrer dekorieren sich und ihre Fahrzeuge mit Georgsordensbändern.
Doch ins am Don gelegene Woronesch, das im Krieg zwei Jahre lang deutsch besetzt war, hat auch der Ukrainekonflikt viele Flüchtlinge getrieben. Währenddessen gibt das russische Staatsfernsehen die ukrainische Regierung als faschistische Hydra aus. In der sonntäglichen Talkrunde des Kreml-Einpeitschers Wladimir Solowjow auf dem Kanal NTW stellt der Politologe Sergej Michejew die Regierung in Kiew auf eine Stufe mit Hitler und Stalin. Dass die meisten Ukrainer anders denken, vergleicht der Filmregisseur Karen Schachnasarow mit den Deutschen, die erst 1945 kapiert hätten, was in ihrem Land passiert war.
Umso löblicher, dass die Friedrich-Ebert-Stiftung an der Journalistikfakultät von Woronesch eine Medientagung mit kritischen russischen und deutschen Journalisten veranstaltet. Das Journalistikinstitut sei de facto auf Knochen deutscher wie russischer Soldaten erbaut worden, die in der heftig umkämpften Stadt umkamen, sagte der Dekan Wladimir Tulupow, dessen Vater in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet. Heute stelle das Institut eine Insel der Freiheit dar. In jedem Sommer findet in Kooperation mit der Zeitung „Nowaja gaseta“ ein Rechercheseminar statt, das nach dem ermordeten Korruptionsrechercheur Juri Schtschekotschichin benannt ist. Das russische Bildungsministerium verlange indes, die geisteswissenschaftliche Grundausbildung, Fächer wie Literatur, Philosophie, Geschichte, zusammenzustreichen, sagt Tulupow. Am niedrigen Ansehen der Presse hätten allerdings auch die Journalisten durch ihre Servilität und Käuflichkeit selbst mit Schuld.
Bei der Diskussion über mediale Tabus sitzen fast nur Studentinnen im Hörsaal, dem Journalistenberuf mangelt es in Russland an männlichem Nachwuchs. Tabu sind in Russland vor allem kritische Informationen über Präsident Putin und seine Getreuen. Ein Student schlägt sogar vor, über Putin nur Publikationen von Autoren zu erlauben, die alles über ihn wissen, was einer vollständigen Tabuisierung gleichkäme. In Woronesch darf nichts Negatives über den Gouverneur Gordejew verlauten, auch nicht über die örtliche Baufirma DSK, die sich, wie man erfährt, illegal Grundstücke aneigne, Denkmäler zerstöre und den Baustoffhandel monopolisiere. Dafür sind kritische Berichte über den Eisenbahnchef Jakunin unbedenklich, womit sich Medien in Moskau gefährden würden.
Von den Chefs unter Druck gesetzt
Russische Journalisten werden von Chefs unter Druck gesetzt, die mit ihrem Medium zu Geld und Macht kommen wollen. Der Reporter der oppositionellen Zeitung „Nowyje Iswestia“, Anatoli Stepowoi, mahnt die Studenten daher, nie aufzugeben und auf das eigene Gewissen zu hören. Der in Moskau tätige Deutsche Ulrich Heyden legt den angehenden Kollegen ans Herz, nie eigene Wünsche mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Unterdessen schmelzen die Arbeitsplätze weg, in Woronesch werden krisenbedingt zwei städtische Zeitungen fusioniert. Wenige haben das Stehvermögen der Studentin Anna, die regelmäßig publiziert, zurzeit über die Verteidiger von Woronesch im Zweiten Weltkrieg, deren Einsatz sie begeistert.
Der Informationskrieg um den Konflikt in der Ukraine sei zutiefst demoralisierend, sagt sie. Der Schriftsteller Dmitri Bykow, dessen Auftritte im Radiosender „Echo Moskwy“ sie und viele Kommilitonen verfolgen, brandmarkt den Fernsehmoderator Solowjow und dessen Hasspropaganda verbreitenden Mitstreiter sogar als Mörder an der russischen Nation. Diese Leute setzten ihr professionelles Können dafür ein, bei Studiogästen und dem Fernsehpublikum die hässlichsten Instinkte lustvoll zu entfesseln. Solowjow unterbricht und beschimpft seine ukrainischen Gäste und zieht verachtungsvolle Grimassen. Dmitri Kisseljow, Chef des Senders Sputnik, tänzelt selbstzufrieden lächelnd vor der Kamera. Sie erlebten beim Lügen und Niedermachen anderer eine Art dämonischen Befriedigung, meint der Schriftsteller Bykow. Ihn erinnere das an die Gehirnwäschetechnik von Goebbels, der die Deutschen von der „Chimäre von Gewissen und Moral“ zu entlasten versprach. Das aber habe der deutschen Nation das Rückgrat gebrochen.
Der Fernseher landet auf dem Müll
Solowjow und Kisseljow täten Böses, wissend, was gut und schlecht ist, wie einst die Deutschen, im Unterschied aber zu den Roten Garden der Kulturrevolution, die an die Richtigkeit ihres Tuns glaubten, erklärt Bykow. Damit korrumpierten sie ihre Landsleute. Leuten aus dem Publikum, die sagen, es gebe Menschen, die Solowjow und Kisseljow ernsthaft glaubten, erwidert er: Nein, das tun sie nicht! Sie möchten nur gern glauben, denn das sei bequem und angenehm. Auch Putin wisse, dass seine Propagandamaschine Lügen verbreite, versichert der Schriftsteller. Der Präsident kenne keine andere Methode, sein Volk zu lenken. Der Staatschef und seine Geheimdienstkollegen hätten bekanntlich nie eine hohe Meinung von der eigenen Bevölkerung gehabt.
Der oppositionelle Politiker Michail Kasjanow empfahl dem amerikanischen Kongress, Solowjow, der den ermordeten Boris Nemzow als „verbrauchten Dieb“ geschmäht hatte, Kisseljow und weitere Propagandisten des Kreml auf die Sanktionsliste zu setzen und ihnen die Einreise in die Vereinigten Staaten zu verbieten. Woraufhin Kisseljow Kasjanow triumphierend als Denunzianten etikettierte. Auch Bykow findet, es sei nicht Sache der Amerikaner, die Verführung der russischen Gemüter zu verhindern. Wir müssen selbst dieses Gelichter mit Sanktionen belegen, fordert der Schriftsteller, ihre Sendungen boykottieren, als Zuschauer wie als Studiogäste. Es sei höchste Zeit, Solowjow, Kisseljow und ihresgleichen loszuwerden, findet Bykow. Deswegen habe er seinen Fernseher längst auf den Müll geworfen.