Fusion mit RTL : Will Thomas Rabe Gruner + Jahr jetzt verscherbeln?
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Vor dem Ausverkauf: Mitarbeiter von Gruner + Jahr protestieren Ende Januar in einer „aktiven Mittagspause“ vor dem Verlagsgebäude am Baumwall in Hamburg. Bild: dpa
Bei dem Verlagshaus wird über einen Komplettverkauf oder eine Zerschlagung spekuliert. Die Konzernleitung schweigt. Und die Mitarbeiter protestieren.
Am Mittwoch standen nach Schätzungen von Verdi mehr als zweihundert Journalisten vor dem Gebäude von Gruner + Jahr in Hamburg, pfiffen und hielten Plakate hoch. Aber Antworten gab es keine, weder von Bertelsmann-Chef Thomas Rabe noch von der Familie Mohn, den Bertelsmann-Eigentümern. Schon vergangene Woche hatten die Redaktionsbeiräte einen Brandbrief an die 81 Jahre alte Unternehmerin Liz Mohn und ihren Sohn und Aufsichtsratsvorsitzenden Christoph Mohn geschrieben. Aus dem lasen sie vor: „Gruner + Jahr ist ein Gesamtpaket, das sowohl in der redaktionellen Zusammenarbeit als auch im Werbemarkt funktioniert.“ Am Verlagsgebäude hingen Werbebanner für RTL-Streamingdienste, daneben Plakate: „Stoppt den Ausverkauf!“
G + J gehört mit seinem 1965 gegründeten Zeitschriftenangebot, mit „Stern“, „Brigitte“, „Geo“, „P. M.“, „Eltern“ und „Schöner Wohnen“, zu den Großen der deutschen Zeitungslandschaft. Bertelsmann hat seine Beteiligung an Gruner + Jahr im Jahr 2015 von knapp 75 auf 100 Prozent aufgestockt, damals hatte das Hamburger Medienunternehmen einen Umsatz von 2,1 Milliarden Euro und 8500 Mitarbeiter. Anfang 2022 wurde die Fusion mit dem Privatfernsehsender RTL bekannt gegeben, für Gruner + Jahr allein sah Thomas Rabe in der digitalen Welt da schon keine Zukunft mehr. Es war allerdings noch von einem „journalistischen Powerhouse“ die Rede. Jetzt läuft eine „Portfolioanalyse“, die klären soll, wie die Redaktionen und der Privatsender zusammenwachsen können. Die Belegschaft ist darüber verständlicherweise in höchster Aufregung.
„Gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen“
Seit Jahren haben die Mitarbeiter des Verlags mit rasanten Strategiewechseln zu schaffen. Inzwischen mehren sich die Spekulationen darüber, dass die Sendergruppe RTL fast alle Zeitschriften verkaufen will. Laut der „Süddeutschen Zeitung“ stehen außer dem „Stern“ alle Titel zum Verkauf. Auf Anfrage lässt ein Sprecher von RTL dazu mitteilen, es gebe keinerlei Gespräche oder Verhandlungen mit Interessenten: „Das ist uns sehr wichtig.“ Der Eindruck sei wohl entstanden, weil Verlage sich als mögliche Käufer einzelner Titel ins Gespräch gebracht hätten.
Bertelsmann-Chef Thomas Rabe hatte in einem internen Interview im September die „gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen“ als „groß“ bezeichnet und auf die seit der Fusion durch den Krieg in der Ukraine gestiegenen Papierpreise und den schrumpfenden Werbemarkt verwiesen. „Der tägliche Blick in die Nachrichten und auf die neuesten Prognosen zeigt uns, dass die kommenden Monate noch einmal schwerer werden.“
Mangelndes Gespür für Redaktionen
Als strategisch wichtige Projekte nannte er unter anderem den weiteren Ausbau von RTL+. Das „Zukunftsprogramm ONE“ solle dabei helfen, RTL langfristig als Nummer eins im deutschen Medienmarkt zu positionieren. Von den Zeitschriften keine Rede. In den vergangenen Monaten, so Rabe, seien mehrere Hundert neue Stellen geschaffen worden, „vor allem in diesen Zukunftsbereichen“. Für die Investitionen müssten Ressourcen neu verteilt werden. „Das Magazingeschäft steht beispielsweise aktuell besonders unter Druck. Darum werden wir das Titelportfolio überprüfen und nur solche Titel mit RTL zusammenführen, die wirklich synergetisch sind.“
Unter den Redakteuren kursierte im Verlauf der Woche ein in bitterem Ton gehaltener offener Brief des ehemaligen „Geo“-Chefredakteurs Peter-Matthias Gaede. Gaede wirft Rabe vor, zunächst alles Mögliche versprochen zu haben. Doch „nicht einmal einen Wimpernschlag“ später sei davon keine Rede mehr gewesen: „Keine Synergien zwischen ‚Bauer sucht Frau‘ und ‚art‘, zwischen ‚Bachelor in Paradise‘ und ‚11 Freunde‘“. Gaede unterstellt Rabe auch mangelndes Gespür für Redaktionen. Seit Journalismus „Content“ genannt werde, sei offenbar bei Bertelsmann in Vergessenheit geraten, was auf CEO-Ebene noch als Verantwortlichkeit für eine „vierte Gewalt“ im Staat verstanden werde.
„Die Portfolio-Überprüfung läuft“, erklärte ein RTL-Sprecher auf Anfrage. Ob es zu einem Komplettverkauf von Gruner + Jahr oder gar zu einer Zerschlagung kommen werde, könne man nicht sagen, bevor die Überprüfung abgeschlossen sei: „Diese ist ergebnisoffen.“ Noch im Lauf des ersten Quartals wird man mit einem Ergebnis des Prozesses gerechnet.