Der „Polizeiruf 110“ : Tanz mit mir bis zum Ende der Liebe
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Staatsanwalt Dellwo untersagt weitere Ermittlungen im Fall Schneider, Brasch (Claudia Michelsen) fordert die Observation von Wegner. Bild: MDR
Viel Gefühl und reichlich Flüche: Der letzte „Polizeiruf 110“ des Jahres, „Der Verurteilte“ ist kein Gute-Laune-Krimi, aber doch irgendwie der passende Abschluss für so ein Jahr.
Dass Tristesse „royale“ sein kann, glaubten allein einige Popliteraten vor zwei Jahrzehnten. Echte Tristesse hingegen ist farblos und überraschungsarm. So grau wie diese Häuser, die man im bunten Magdeburg inzwischen regelrecht suchen muss; so unheroisch wie die mehr mahlende als abschnurrende Handlung des neuen „Polizeiruf 110“. Es ist der bei aller drohenden Ermattung doch mutige Versuch, die Vorhersehbarkeit aus der traurigen Realität heraus zu rehabilitieren. Schließlich sind es doch nur selten schillernde Blind Dates, die Frauen entführen, misshandeln und verschwinden lassen, so gern Drehbücher mit derart unwahrscheinlichen Wendungen spielen. Oft zeigt sich im Nachhinein eine so linear auf die Tat zulaufende Täterpsychologie, dass sich eher die Frage stellt, ob nicht allen, die die Warnzeichen zuvor nicht hatten sehen oder überbewerten wollen, eine zumindest moralische Mitschuld zukommt. Tatsächlich wird diese Frage hier zum Leit- und Leidmotiv. Ein Gute-Laune-Krimi ist das nicht, aber doch irgendwie der passende Abschluss für ein derart tristes Jahr.
Viel schnödes Krimibeiwerk
In der Hauptrolle sehen wir erneut die seit einiger Zeit als Alleinermittelnde die vorherrschende Buddy-Dramaturgie des Sonntagskrimis durchbrechende, freilich immer schon einzelgängerische Doreen Brasch (Claudia Michelsen), die erst in der vorausgehenden Episode der Reihe den zweiten Tod einer Toten aufzuklären hatte, was leider so leichenblass blieb, wie es klingt. Diesmal geht es um eine junge Frau, die nach einem Blind Date verschwunden ist, wie uns die sehr lange Exposition ohne überragende Ambitionen zeigt. Erst nachdem viel schnödes Krimibeiwerk – sich zierende Behörden; Faserspuren am gefundenen Wagen; Ausscheiden erster Verdächtiger – aus der Welt geschafft ist, erreicht das Drehbuch von Jan Braren allmählich seine Flughöhe. Ein leicht reizbarer Verdächtiger („Da scheiß ich drauf von hier bis Meppen“), auf den alle Indizien hinweisen, gesteht im Affekt, und zwar gleich zwei Morde. Für den ersten davon wurde freilich ein anderer verurteilt, verhaftet aber zufällig auch von Brasch. Allerdings finden sich die erwarteten Leichen dann doch nicht. Und auch die Aussage des unzuverlässigen Verdächtigen (Sascha Geršak in Paraderolle) ändert sich noch einmal.
Dass im Verhörduell ausgiebig geflucht wird, passt durchaus zu den Figuren: „Das ist doch Scheiße, Herr Wegner.“ „Leck mich doch, Scheißfresse.“ Gerade im ungeschönt niederen Stil überzeugt der Film. Trotzdem sackt er noch häufiger in dramaturgische Luftlöcher ab. Bräsig wirkt etwa die Zuspitzung auf institutioneller Ebene, die die drei typischen Klischeestadien durchläuft: ein Staatsanwalt, der unwirsch Ermittlungen blockiert („Der Fall Schneider ist tabu“); die sich darüber hinwegsetzende Kommissarin, die den üblichen Preis zu zahlen hat („Brasch, Ihre Waffe und Ihre Dienstmarke bitte“); das In-die-Bredouille-Geraten der Genannten, die natürlich auf eigene Faust weitermacht und einen fatalen, freilich auch zur Lösung führenden Fehler begeht („Hier ist eine Kollegin in Lebensgefahr“).
Unglücklich sind zudem einige Details: Bei einem Foto, das man heute in jeder Drogerie auf Fotopapier ausdrucken kann, „Das ist ein Originalabzug!“ auszurufen, hat eine unbeabsichtigte Komik. Michelsens Anspielpartner Felix Vörtler, der Braschs Vorgesetzten Lemp mimt, scheint es wiederum inzwischen darauf anzulegen, dass sein Charakter als Inkarnation der dienstbeflissenen Langeweile in die Krimiannalen eingeht. Vielleicht sollte auch er mehr fluchen.
Was den Film bei aller Routinehaftigkeit des Plots doch sehenswert macht, ist die ruhig-bezwingende Regie von Brigitte Maria Bertele, die sich mit kluger Souveränität zwischen Grau- und Brauntönen bewegt. Sie findet unaufdringliche Symbole für die nicht nur emotional verkorksten Beziehungen, die hier eigentlich im Fokus stehen, beispielsweise ein Zebrafinkenpärchen im engen Zierkäfig, das wie zueinander verurteilt wirkt. Schön anzusehen ist auch, wie stets, das sensible und mit kleinsten Mitteln äußerst ausdrucksstarke Spiel von Michelsen. Ganz besonders aber prägt und trägt diesen Film das kräftig in der Agonie des Alltags gewalkte, schief proletenstolze Albtraumpaar in seinem Zentrum, auf das die erwähnte Zebrafinken-Notgemeinschaft verweist.
„Dance Me to the End of Love“
Da ist nämlich nicht nur der jähzornige, durch die eigene Liebesbedürftigkeit verunsicherte und seine intellektuelle Inferiorität mit Aggression überspielende Markus Wegner („Jetzt bin ich der Kommissar, und du bist das Arschloch“), sondern auch seine verprügelte, unterwürfige und doch eigentümlich überlegene Ehefrau Annegret (Laura Tonke, herrlich verfilzt). Sogar eine Spur glamouröse Pop-Tristesse findet sich, wenn Annegret im unmöglichen Batikfummel zu Leonard Cohens graziösem, aber hier bewusst viel zu klassisch-stilvollem „Dance Me to the End of Love“ ihren volltrunkenen Problembären antanzt, wissend, wozu das führt. Dass Bertele die Produktion nicht mit einem Knalleffekt enden lässt, sondern sich wiederum Zeit nimmt und nur schmerzhaft langsam abblendet, darf man ihr ebenfalls als Verdienst anrechnen. Die hervorragend verdichtete Stimmung einer sich fortzeugenden Schuldverstrickung, für die andere den Preis zahlen, ist dem Film wichtiger als die konkrete Auflösung. Eine kleine Pirouette dreht die Handlung dann doch noch, aber insgesamt bleibt es ein gefühlvoll getanztes Requiem über die verlorene Unschuld des Paradieses.
Der Polizeiruf 110: Der Verurteilte läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.