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EUGH-Urteil zum Urheberrecht : Lizenz zum Plündern

Der Europäische Gerichtshof torpediert die Anstrengungen der Politik, Digitalkonzerne für ihr Tun in Haftung zu nehmen. Bild: dpa

Analoge Steinzeit-Blase: Europas höchste Richter kippen das Recht auf geistiges Eigentum im Internet. Damit sanktionieren sie eine Geschäftspraxis, welche die Grundwerte unserer Gesellschaft schleift.

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          Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist von allen guten Geistern verlassen. Denn er setzt das Recht auf geistiges Eigentum im Internet außer Kraft. Das geschieht in zwei Etappen. In der vergangenen Woche hat der EuGH entschieden, dass eine Videoplattform bei der Verfolgung von Verstößen gegen das Urheberrecht auf Verlangen des Geschädigten nur die Postadresse des mutmaßlichen Raubkopierers herausgeben muss (Aktenzeichen: C-264/19). Der Witz ist nur: Diese „Postadresse“ gibt es gar nicht.

          Wer bei Youtube Inhalte hochlädt, muss keine postalische Anschrift angeben, er teilt lediglich seinen Namen, das Geburtsdatum, die E-Mail und in gewissen Fällen eine Telefonnummer mit. Wer also, wie in dem verhandelten Fall die Firma Constantin Film, diejenigen vor Gericht zur Rechenschaft ziehen will, die illegal Inhalte bei Youtube einstellen – es ging um Kopien der Filme „Parker“ und „Scary Movie 5“ –, hat keinen Anknüpfungspunkt. Er kann verlangen, dass Youtube die Inhalte sperrt, aber das ist wie das Rennen zwischen dem Hasen und dem Igel: Ist eine illegale Kopie verschwunden, taucht schon die nächste auf. Das kann man tausendmal am Tag machen. Den Diebstahl und die kommerzielle Verwertung illegaler Inhalte, an denen Youtube durch seine Werbeeinnahmen partizipiert, können die Rechteinhaber nicht aufhalten. Sie bräuchten die IP-Adresse des Schädigers oder wenigstens eine E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer, doch diese bekommen sie nicht. Sie sind, verordnet vom höchsten europäischen Gericht, schutzlos.

          Milliardenschwerer Silicon-Valley-Diebstahl

          Für Teil zwei der Entrechtung sorgt der Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard Øe. Er plädiert in seinem am Donnerstag veröffentlichten Schlussantrag zu zwei Urheberrechtsfällen dafür, dass Youtube und dessen Mutterkonzern Google für Verstöße gegen das Urheberrecht nicht direkt belangt werden können, solange die vom Europäischen Parlament im vergangenen Jahr beschlossene Urheberrechtsrichtlinie noch nicht in nationales Recht umgesetzt ist. Youtube und Google nähmen die „öffentliche Wiedergabe“ nicht selbst vor, sondern seien nur „Vermittler“. Haftbar zu machen sei allein der Nutzer, der die potentiell illegalen Inhalte hochlädt.

          In dem vorliegenden Fall hatten einerseits ein Musikrechteverleger gegen Youtube und Google und andererseits der Wissenschaftsverlag Elsevier gegen die Sharehosting-Plattform Uploaded von Cyando geklagt (Aktenzeichen: C 682/18 und C 683/18). Das Einzige, was der Generalanwalt den Rechteinhabern zum jetzigen Zeitpunkt zugesteht, betrifft die sogenannte Störerhaftung: Das bedeutet, dass Urheber gegen Online-Plattformen vor Gericht Unterlassungsanordnungen gegen bestehende illegale Angebote erwirken können, ohne die dauernde Wiederholung der Rechtsverstöße abwarten zu müssen. Kaufen können sich Urheber dafür nichts. Gestört wird der Kreislauf des milliardenschweren Silicon-Valley-Diebstahls nicht einmal im Ansatz. An die Diebe kommen sie nicht heran (Postadresse!), und die Hehler (also die Plattformen) werden nicht belangt.

          Es geht um alles

          Man fragt sich, in welcher analogen Steinzeit-Blase die Generalanwälte und Richter des Europäischen Gerichtshofs leben. Vom großen Geschäft mit der Ausplünderung von Urhebern haben sie offenbar noch nichts mitbekommen. Sie sanktionieren eine Geschäftspraxis, die gegen Grundrechte verstößt. Und sie torpedieren alle Anstrengungen der Politik, die Digitalkonzerne endlich für ihr Tun verantwortlich zu machen und in Haftung zu nehmen. Wie will man denn auf der einen Seite gesetzlich wirksam etwas gegen Hassrede, gezielte Falschinformation, Hetze, Antisemitismus, Rassismus und Gewaltverherrlichung im Internet tun, etwa durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und den Medienstaatsvertrag, wenn Europas oberste Richter auf der anderen Seite beim Urheberrecht feststellen, dass die „Intermediäre“ – also Konzerne wie Google, Facebook, Youtube, Amazon und Twitter – nur „Vermittler“ sind, die man „primär“ nicht für das, was bei ihnen läuft, haftbar machen kann?

          Wenn es eines Beweises bedurft hätte, wie wichtig die Urheberrechtsrichtlinie der Europäischen Union ist und wie viel von der vom Bundesjustizministerium verantworteten Umsetzung in nationales Recht abhängt, dann liefert ihn der Europäische Gerichtshof in letztgültiger Klarheit. Es geht um die letzte Bastion gegen den digitalen Raubtierkapitalismus, der die Grundwerte unserer Gesellschaft schleift. Mit anderen Worten: Es geht um alles.

          Michael Hanfeld
          verantwortlicher Redakteur für Feuilleton Online und „Medien“.

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