Wie aus dem Kongo
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Jahrgang 1990, aber trotzdem ostdeutsch: Tina Arndt aus Leipzig. Bild: rbb/Hoferichter & Jacobs
Das Bild Ostdeutschlands in den Medien ist seit dreißig Jahren erschreckend einseitig. Es bessert sich ein wenig, doch mit der Bevormundung ist noch lange nicht Schluss.
Die ARD ging am Montagabend aufs Ganze: Zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr zeigte sie eine Dokumentation mit dem expliziten Titel „Wir Ostdeutsche“. Was selbstverständlich nicht heißt, dass an den Schalthebeln des Senderverbundes jetzt tatsächlich Ossis säßen, so weit geht die Liebe dann doch nicht. Vielmehr erzählen darin neunzig Minuten lang Menschen aus allen ostdeutschen Ländern über ihr Leben – und zwar ohne Fokus auf Stasi, Armut, Nazis. Diese Themen werden keineswegs ausgeblendet, aber sie stehen, für viele Westdeutsche womöglich überraschend, nicht im Vordergrund. Stattdessen berichten die Protagonisten darin über ihren Alltag in der DDR, sie erzählen, wie sich ihr Leben nach 1989 radikal gewandelt hat und wie sie die Veränderungen gemeistert haben. Herausgekommen sind eindrucksvolle und vor allem realistische Porträts über die Verhältnisse im Osten der Republik, der nun seit dreißig Jahren Teil des wiedervereinten Landes ist.
Oder vielmehr sein sollte. Denn die endlich mal aus dem Leben gegriffene Ost-Perspektive reißt die ARD auf ihrer Internetseite dazu gleich wieder ein. „Der Osten ist bis heute anders, und die Ostdeutschen sind es auch“, heißt es dort, und man möchte die ganze Zeit rufen: „Der Westen ist auch anders, und die Westdeutschen sind es auch!“ Und wenn die ARD und ihre Länderanstalten noch genauer hinschauten, würden sie völlig überraschend feststellen, dass Bayern und Brandenburg ebenfalls anders sind, genauso wie Sachsen und Thüringen oder Hessen und Schleswig-Holstein. Das zeigt, was seit Jahren – nicht nur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern auch im Privatfernsehen und großen Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen – schiefläuft: Die Perspektive der Ost-Berichterstattung ist nahezu ausschließlich westdeutsch. Auch wenn sich da seit einiger Zeit etwas verändert, klingen nach wie vor viele Berichte über Ostdeutschland wie aus dem Kongo, freilich mit dem Unterschied, dass diejenigen, über die berichtet wird, das auch unmittelbar mitbekommen.
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