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Webvideopreis : Das ist sogar besser als Fernsehen

Lena Steinkühler erweckt in ihrem Wettbewerbsbeitrag allerhand Anorganisches zum Leben Bild: Steinkühler/Webvideopreis

An diesem Samstag Abend wird in Düsseldorf der Deutsche Webvideopreis vergeben. Was da läuft, kann sich sehen lassen. Amateure und Profis zeigen, wie lässig und vielfältig man das Netz bespielen kann.

          3 Min.

          Wer sich irgendwo bewerben wolle, sagt ein Mann mit Hornbrille und weit aufgerissenen Augen in die Kamera, der müsse natürlich erst einmal ein perfektes Bewerbungsschreiben abliefern: frei von Rechtschreibfehlern und stilsicher formuliert. Es sei denn, man wolle sich als Youtube-Kommentarschreiber bewerben. In diesem Fall, erklärt der Mann weiter, empfehle er folgenden Text: „Ey, Du Opfer, was machst Du Stellenanzeige, bist Du was Besseres? Du bist schlecht, mach Deine Firma zu, Du Hurenkind. P.S.: Haftbefehl ist beste“. Es folgt ein fünfminütiger Parforceritt durch potentiell schwierige Bewerbungsgesprächssituationen, für die Dr. Allwissend, wie sich der Videoblogger nennt, jeweils Hinweise gibt, die zwischen Ernst und Parodie changieren.

          Morten Freidel
          Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

          Das Video ist eines von zahlreichen nominierten für den Webvideopreis 2013, der heute Abend im Düsseldorfer Capitol-Theater zum dritten Mal vergeben wird. Vom 21. Februar bis zum 30. April hatten Internetnutzer die Möglichkeit, Vorschläge in elf verschiedenen Kategorien einzureichen. Anschließend gelangten pro Kategorie drei Videos in die engere Auswahl und wurden um bis zu drei weitere Favoriten einer Jury ergänzt. Im Mai konnte die Internetgemeinde sie weiterverbreiten: per Facebook, Twitter, Google+ oder unbekanntere Blogs und Foren. Jeden Tag wurde die Verbreitung maschinell ausgewertet und in Form eines Stimmenbarometers auf der Internetseite des Webvideopreises gepostet. Wer zusammengenommen die meisten Stimmen erhalten hat, der gewinnt - außer in den Kategorien „Newbie“ und „AAA“, übersetzt etwa „unbekannt“ und „künstlerisch wertvoll“. Hier entscheidet die Jury allein.

          Tod eines Dinosauriers
          Tod eines Dinosauriers : Bild: Ken Ottmann

          Schon die Kategorien verdeutlichen, dass der Webvideopreis vollständig aus der Internetcommunity erwachsen und mit ihr verwachsen ist: Titel wie „Epic“, „LOL“ (Laughing out loud) oder „Fail“ sind gebräuchliche Chatwendungen, etwa in Youtube-Kommentaren. Die Charakteristik der nominierten Videos reicht dabei von verwackelten Amateurvideos und Musikparodien bis hin zu professionell anmutenden Sportfilmen und Informationssendungen. Allen ist gemeinsam, dass sie zwar im Sinne der herkömmlichen Fernsehästhetik nicht perfekt gedreht sind, dafür aber auch nie langweilig. Sie leben weniger von der Ton- oder Bildqualität als von der Grundidee. Ein Beispiel: Im Video „The Last Game“ zeigt die im Netz inzwischen arrivierte Gruppe „die Außenseiter“ das Leben als Videospiel: Dima, eines ihrer Mitglieder, läuft mit großformatiger Sonnenbrille durch ein verlassenes Fabrikgelände und begegnet plötzlich einem Psychopathen mit Axt, gegen den er kämpft, bis dessen Lebensenergie auf null gesunken ist. Am Ende des Videos können die User entscheiden, wie das Spiel weitergehen soll, „episch“, „dramatisch“ oder „tiefgründig“.

          Jede Wahlmöglichkeit ist mit einem entsprechenden Video verlinkt, in dem „die Außenseiter“ ihre Fans auffordern, Vorschläge für die Erzählvariante einzureichen. Generell macht Interaktion im Unterschied zu Fernseh- oder Kurzfilmformaten ein wesentliches Merkmal der Videos aus: entweder im Sinne einer einfachen Wahlmöglichkeit oder als subtil eingeflochtenes, assoziatives Beziehungsnetz. Das Video „Inboxing Sheldon“ etwa ist ohne Hintergrundwissen der Internetgemeinde kaum zu verstehen: Eine Frau verstaut ihren Kater versandbereit in einem Paket. Wirkung entfalten die Bilder aber nur für diejenigen Zuschauer, die begreifen, dass der Begriff „Inboxing“ eine Umkehrung von „Unboxing“ darstellt, einem seit 2006 auf Youtube beliebten Videogenre, in dem Nutzer Produkte auspacken und live vor der Kamera testen. Und die außerdem wissen, dass es eine Videoantwort von einem weiteren Youtuber gibt, der die Paketsendung anschließend auspackt und sich enttäuscht darüber zeigt, dass kein Kater darin enthalten ist, nur eine Spielzeugattrappe. Tatsächlich ist auch ein echtes „Unboxing“-Video für den Webvideopreis nominiert: Darin nimmt jemand die „Bild“-Zeitung auseinander und entfernt alle „Hüllen“, auf der immer verzweifelteren Suche nach dem Inhalt.

          Seit Jahren existiert auf Youtube und anderen Videoportalen eine soziokulturelle Szene mit eigenem Humor und eigenen Umgangsformen. Sie ist für Außenstehende auch deshalb so schwer zu begreifen, weil der Webvideopreis nicht ihre Codes, sondern, um Jahre versetzt, die Parodie ihrer Codes ausstellt. Oder auch die Parodie der Parodie ihrer Codes. Es gilt, erklärt Markus Hündgen, ehemaliger Journalist und einer der beiden Initiatoren des Preises, also einen Graben zu schließen: zwischen Öffentlichkeit und Subkultur, zwischen traditionellen und neuen Medien.

          Umso mehr, weil die Videobloggerszene stark an Bedeutung gewonnen hat: Bloggerpersönlichkeiten wie „Iblali“ werden nach eigenen Angaben auf der Straße erkannt und um Autogramme gebeten, das Internetportal „socialblade.com“ listet inzwischen mehr als hundert Personen in Deutschland auf, die über 100 000 Youtube-Abonnenten haben - die Internetcomedians „Y-Titty“ kommen allein auf über 1,8 Millionen.

          Allerdings strebt der Webvideopreis nicht nur eine angemessene öffentliche Repräsentanz der Szene an. Es geht weniger um eine Abbildung der Internetkultur als um ihre Reproduktion, mitsamt flachen Hierarchien und der üblichen Nähe von Bloggern und Fans. Von tausend Eintrittskarten für die Veranstaltung wurde die Hälfte verlost - ausschließlich an Fans der Videobloggerszene. Es handele sich um eine Community, erklärt Hündgen, die gemeinsam groß geworden sei, einige zwar größer als andere, aber am Ende des Tages duze man sich. Beim Webvideopreis, sagt er, dürfe jeder auf dem roten Teppich laufen.

          Interessierte können die Preisverleihung live auf Youtube verfolgen: http://www.youtube.com/webvideopreis

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