Weblogs : Wo seid ihr?
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Unter meinen Kollegen, um gleich einmal persönlich zu werden, könnte die Begeisterung über Weblogs größer sein: Der eine tut sich schwer, das Genre von den übrigen Internetseiten zu unterscheiden, der andere schaut wenigstens aus reiner Freundschaft ab und zu beim Blog unseres Mitarbeiters Stefan Niggemeier rein, ein weiterer hat früher gerne ein Blog über Popmusik gelesen, die Lektüre aber eingestellt, seit dieser in letzter Zeit kaum noch schreibt, und ein vierter liest am liebsten das Blog eines vor vierzehn Jahren verstorbenen französischen Staatspräsidenten, das ein anonymer Redenschreiber in seinem Ton weiterführt. Der größte Experte ist der Fußballfan in unserer Redaktion: Der hat sogar schon einmal selbst etwas gepostet, in einem Blog über Hertha BSC, das er regelmäßig verfolgt.
Die kleine Umfrage ist alles andere als repräsentativ; aber wer sich ein wenig umhört, auch bei den Menschen, die keine Zeitung haben, in die sie ihre Meinung hineinschreiben können, der wird ein allgemeines Desinteresse an den Werken der Internetautoren nicht leugnen können. Drei Prozent der Internetnutzer, ergab Ende vergangenen Jahres eine Studie der PR-Agentur ZPR, betreiben ein Weblog, neun Prozent lesen regelmäßig eines. Aufschlussreicher als die Größe dieser Zahlen ist dabei das Verhältnis zwischen Schreibern und Lesern: Selbst wenn man von fleißigen Lesern ausgeht, die am Tag zehn verschiedene Blogs besuchen, kommt man im Durchschnitt auf dreißig Leser pro Autor.
Im Kampf Mann gegen Mann
Da stellt sich der persönliche Ton, den man den Blogs im Allgemeinen als stilistisches Merkmal attestiert, ganz automatisch ein. Man bleibt halt unter sich, solange das Schicksal nicht gerade einen Hurrikan oder Tsunami vorbeischickt, den es zu bezeugen gilt. Die Revolution der Medienwelt, die von „Web 2.0“-Guru Tim O'Reilly spätestens vor zwei Jahren ganz offiziell verkündet wurde, scheint sehr mühsam erfochten werden zu müssen. Im Kampf Mann gegen Mann.
„71 million blogs ... some of them have to be good“, steht zurzeit auf der Startseite der Blog-Suchmaschine Technorati.com. Die Zahl wird regelmäßig aktualisiert, das Versprechen, das sie beinhaltet, ist eher alt. Vor allem in Deutschland schreitet die Revolution mit einer gewissen Gemütlichkeit voran, die immerhin perfekt zum Klischee des Bloggers passt: Bartträger, um die Dreißig, leicht übergewichtig; ein Nerd eben. Das Bild ist zwar statistisch nicht ganz richtig: Zwei Drittel der deutschen Blogger sind weiblich, ermittelte vor kurzem die Ruhr-Universität Bochum. Ihr Anteil an den erfolgreichsten hundert Blogs beträgt jedoch nur zwanzig Prozent, die erste Bloggerin steht momentan auf Rang 49 der „Deutschen Blogcharts“. Doch während die Figur des Bloggers in anderen Ländern längst ein Gesicht hat, das Gesicht etwa von Arianna Huffington in den Vereinigten Staaten, von Loïc Le Meur in Frankreich oder von Beppo Grillo in Italien, muss man angesichts der Profillosigkeit der deutschen Bloggerszene froh sein, dass sich überhaupt ein Klischee entwickeln konnte.