Simulations-Videospiele : Warum wollen alle so gerne Bauer sein?
- -Aktualisiert am
In vino veritas: Mit dem Landwirtschaftssimulator kann man auch in die Rolle eines Winzers schlüpfen. Bild: Giants Software
Viele Landwirte spielen in ihrer Freizeit den Landwirtschafts-Simulator und Stadtkinder schwärmen plötzlich für Traktoren. Was steckt dahinter?
Die Sonne erhebt sich über das Bergpanorama und taucht die Landschaft in ein warmes Morgenlicht, während der Bauer mit seiner Maschine gemächlich übers Feld fährt. Der Boden sieht fruchtbar aus, es ist an der Zeit, die Saat auszubringen. Doch der braune Boden besteht nicht aus Erde, sondern aus unzähligen Pixeln, so wie der Rest der romantischen Landschaft. Der Traktor, der hier fährt, wird mit Maus und Tastatur gesteuert und gehört zu dem Spiel „Landwirtschafts-Simulator“.
Fehlt noch ein Silo, in dem das Korn gespeichert werden kann? Braucht es noch anderes Gerät, damit die Frucht später im Jahr eingeholt werden kann? Oder soll man auf Viehzucht setzen? Mit nur ein paar Klicks ist es eingerichtet. Viele Millionen Menschen auf der ganzen Welt sind Fans des Spiels. Die Agrar-Spieleserie steht exemplarisch für den Hype um Simulationsspiele, den es seit einigen Jahren gibt: Wer gerne große Fahrzeuge wie Busse, Lastwagen oder Züge fahren oder mal ein Passagierflugzeug fliegen will, kann das ebenso ausprobieren wie den Berufsalltag als Polizist oder Feuerwehrmann.
Einige Entwicklerstudios haben sich allein diesem Genre verschrieben, so wie Giants Software. Das Team aus der Nähe von Zürich entwickelt den Landwirtschafts-Simulator seit 2008 kontinuierlich weiter. Mehr als 30 Millionen Exemplare der Spielereihe wurden verkauft. Es ist längst kein Nischenprodukt mehr für Menschen mit einer Affinität für Traktoren und große Maschinen.
Mehr als 28.000 Rezensionen hat das Spiel auf der Vertriebsplattform Steam, die meisten davon positiv. Da gibt es Nutzerkommentare wie: „Ich will keinen Maserati mehr, gibt mir einen Fendt und ich bin glücklich“, oder „Ich folge jetzt Massey Ferguson auf Instagram und schau versonnen Traktoren hinterher, die an mir vorbeifahren und seufze leise“. Während die reale Landwirtschaft ein hartes Geschäft ist, blüht die Romantik vom Leben als Bauer im Digitalen auf.
Jedes Videospiel ist eine Simulation, weil der Spieler sich in einer virtuellen Umgebung, im Rahmen der Möglichkeiten, die das Spiel bietet, austoben kann, egal ob der Protagonist ein springender Klempner wie Super Mario oder eine Ziege auf Kamikaze-Mission wie in „Goat Simulator“ ist. Während die meisten Spiele jedoch Fantasiewelten erschaffen, in denen die Handlung spielt, geht es in Simulationsspielen um eine möglichst getreue Abbildung der Realität. Hierzu zählen auch Titel wie die FIFA-Reihe und weitere Sportspiele, Berufs-, Fahr- oder Flugsimulationen oder der Städtebau. Wer glaubt, Videospiele seien nur Eskapismus, der irrt. Das echte Leben fasziniert – in seiner virtuellen Spiegelung.
Warum ist das so? Was macht den Reiz des Alltäglichen aus? „Spiele sind sichere Schutzräume“, sagt Benjamin Strobel. Er ist Psychologe, Dozent und Referent für Medien. „In Spielen kann ich mich gefahrlos ausprobieren und das Gefühl haben, mal in den entsprechenden Schuhen zu stecken. Und wenn es mir doch zu anstrengend ist oder ich keine Lust mehr habe, kann ich das Spiel einfach ausschalten“, sagt Strobel. Kurzum: Wer als Kind gerne Feuerwehrmann oder Polizist werden wollte und nun doch einen eher langweiligen Bürojob hat, kann sich seinen Kindheitstraum in gewisser Weise doch noch erfüllen. Strobel hat noch eine weitere Erklärung: „Die Tätigkeiten in Simulationsspielen sind im Vergleich zum echten Arbeitsalltag überschaubarer, also zeitlich und räumlich klar begrenzt, und man hat immer ein klares Ziel vor Augen. Außerdem sieht man sofort Ergebnisse, also die Wirkung des eigenen Handelns. Das gelingt im Alltag oder bei der Arbeit nicht immer, wo Ziele und Erfolge oft in weiter Ferne liegen können.“