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Reeperbahn-Serie „Luden“ : Was im deutschen Fernsehen alles möglich wäre

Lude Klaus (Aaron Hilmer) und Prostituierte Jutta (Jeanette Hain) Bild: Neue Super / Amazon Prime Video

Schon lange hat keine deutsche Serie mehr so wenig falsch gemacht wie das Reeperbahn-Drama „Luden“. Nichts ist hier echt, alles ist richtig.

          3 Min.

          Muss man sie wirklich noch einmal erzählen, die Geschichte der Zuhälter der Reeperbahn, der „Könige von St. Pauli“ und „ihrer“ Frauen? Will man das wirklich alles noch mal sehen, die schäbigen Clubs, die billigen Träume, die dumpfen Existenzen? Kann man das überhaupt anders zeigen als im romantisierenden Blick auf das sogenannte Milieu, es anders ausleuchten als mit dämmerigen Rotlicht?

          Harald Staun
          Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          Man kann, behauptet die neue Amazon-Prime-Serie „Luden“, und versucht es, indem sie die Geschichte einer der berühmtesten Kiez-Figuren erzählt, den Aufstieg und Fall des Zuhälters Klaus Barkowsky, des „schönen Klaus“, des „Lamborghini-Klaus“, des Anführers ei­nes Kleinkriminellenkartells namens „Nu­tella-Bande“, das Anfang der Achtziger die ältere Generation Hamburger Zuhälter ablöste. Und dass man schon nach den ersten Minuten – und bis auf wenige Momente bis zum Schluss – das Gefühl hat, dass der Plan aufgeht, das ist fast ein Wunder, wie man es im deutschen Fernsehen selten sieht.

          Der Wille zum Glamour

          Schon lange hat keine deutsche Serie mehr so viel richtig gemacht wie „Luden“. Das beginnt damit, wenig falsch zu machen. Von Anfang an sparen sich Produzent und Drehbuchautor Rafael Parente, seine Co-Autoren Niklas Hoffmann und Peter Kocyla sowie Laura Lackmann und Stefan Lukacs, die jeweils für drei Folgen Regie führten, jede überflüssige Handreichung, jeden unnötigen Erklärdialog, jedes zu oft gesehene Bild. Wie ein Trailer werden die Motive der kommenden Folgen kurz angespielt. Und dann ist man schon mittendrin in der Geschichte, die zwar auf einer wahren Legende beruhen mag; die sich aber vor allem auf die Kraft der eigenen Fiktion konzentriert.

          Aaron Hilmer als Zuhälter Klaus Barkowsky, „der schöne Klaus“, in „Luden“
          Aaron Hilmer als Zuhälter Klaus Barkowsky, „der schöne Klaus“, in „Luden“ : Bild: Amazon Prime Video

          Schon die Schönheit des „schönen Klaus“ ist eine Behauptung, die Aaron Hilmer gegen ein Kostüm verteidigen muss, welches all die Ambitionen seiner Figur so unangenehm laut hinausschreit. Der Halbstarke Klaus will ein anderer sein, irgendjemand mit Stil, ein Künstler wie Warhol, will Disco, Glamour, ein Leben als Party, „erste Klasse Jumbojet“. Und setzt also alles daran, ein Lude zu werden, ein Zuhälter, weil das eben die Schwundstufe ist, in der sich das Boheme-Ideal für einen Zwanzigjährigen aus St. Pauli damals manifestierte.

          Liebe ist die Lösung

          Wie es Hilmer gelingt, diesen Egoisten und Blender als naiv-sympathischen Sonnyboy zu spielen, als jene Erlöserfigur, als die er sich den Frauen präsentiert, vermittelt eindrücklich die manipulativen Fähigkeiten von Klaus. Und er zeigt sich, vor allem im Zusammenspiel mit Jeanette Hain als schon ein wenig in die Jahre gekommene Prostituierte Jutta, doch immer wieder als Idealist, der auf seine eigenen Lügen reinfällt: „Meine Lösung ist Liebe“, sagt er einmal und klingt dabei, als ob er es sich selbst glaubte. Jutta dagegen arbeitet schon viel zu lange auf St. Pauli, um irgendwelchen Träumen nachzuhängen; und erkennt Klaus’ Schönheit doch darin, dass er noch Träume hat. Mehr als hundert Fernsehrollen hat Jeanette Hain schon gespielt. So ungeschützt war sie noch nie zu sehen.

          Allein die Dynamik zwischen diesen beiden Figuren, die mit ihren blonden Perücken fast so außerweltlich wirken wie die Herrscher des Haus Targaryen aus „Game of Thrones“, reicht schon als Antwort auf die Frage, warum es sich gelohnt hat, diesen abgenutzten Stoff noch einmal zu verfilmen: um zu zeigen, dass alles anders geht. Man muss, um die kategorischen Unterschiede zur üblichen Fernsehware zu erkennen, nur einmal für ein paar Minuten in „Der König von St. Pauli“ hineinschauen, Dieter Wedels Reeperbahn-Serie aus dem Jahr 1998, die im Vergleich zu „Luden“ wie die „Lindenstraße“ aussieht. Das ist umso bemerkenswerter, als für beide Serien der Kiez in den Münchner Bavaria-Studios nachgebaut wurde. Bei Wedel hört man die Kulissen klappern, bei „Luden“ wirken sie wie eigenständige Akteure, die die Grenzen dieser engen Welt markieren. Wenn es etwas gibt, was den Zauber stört, dann dass die Serie bei ihrem Versuch, die Figuren ambivalent, nicht nur als Opfer oder Täter zu zeigen, gelegentlich eine Spur zu viel verklärt. Dann feiert sie Jutta als Kämpferin für die sexuelle Revolution und Klaus als menschenfreundlichen Hedonisten. „Was Klaus wollte, war eine Party, die niemals endet“, heißt es dann aus dem Off. Oder: „Klaus brachte das Licht nach St. Pauli.“

          Man muss aber die ganze Luden-Story gar nicht besonders ernst nehmen. Viel wichtiger sind Stil und Ton, Tempo und Timing: die schnellen Schnitte, die flüchtigen Blicke, der Dreck. Die Unschärfen und Tiefen, die Anmut, Schnoddrigkeit, Kaputtheit. Und nicht zuletzt ein Soundtrack, der das Geheimnis, das die Macher von „Luden“ verstanden haben, vielleicht am besten auf den Punkt bringt. Statt in durchgenudelten Hits der Achtziger oder dem Schweinerock, den die Luden wohl eher hörten, wird die Zeit in Songs lebendig, die fast wie neu klingen: Songs von The Brains, Fad Gadget, A Flock of Seagulls. Das ist der Trick: Nichts ist echt, alles ist richtig.

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